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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Disziplinierte Verschwendung
Claudia Bosse und Robert Woelfl (Ausschnitte aus einem E-Mail-Dialog


B was mich zurzeit sehr interessiert, ist die frage, in wie weit sich sprache im verlauf eines theatralen gebrauchs redefiniert, also das rhythmische moment und das phonetische denken. welche bedeutung hat rhythmus für dich beim schreiben?

W Mit 16 habe ich mir ein Schlagzeug gekauft und dann täglich stundenlang geübt. Manchmal vor dem Schreibtisch taucht in mir dieses Bild auf, wie ich vor meinem Schlagzeug sitze und versuche, einen bestimmten Rhythmus in mein Körpergedächtnis hineinzubringen. Wenn ich über einem Text sitze und merke, dass es „läuft”, dann stelle ich manchmal plötzlich fest, dass ich mit dem Oberkörper rhythmisch vor und zurück wippe. Schreiben ist für mich zu einem großen Teil eine körperliche Angelegenheit.

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B wie entstehen deine texte? wie würdest du den arbeitsprozess beschreiben?

W Das hat viel mit der Arbeit eines Bildhauers gemeinsam. Ich komme ja eigentlich von der bildenden Kunst her. Begonnen habe ich mit einem Studium der Bildhauerei. Wenn ich mit der Arbeit an einem Text beginne, dann muss ich den Text zuerst einmal „ganz” schreiben, ich muss den Text „in seiner vollen Länge schreiben”, um ein Gefühl für den richtigen Rhythmus und die Länge zu bekommen. Von dem Text, der so entsteht, werfe ich dann das meiste wieder weg, vielleicht sind es sogar 95 Prozent, manchmal bleibt nur ein einziger Satz. Dann geht es in die nächste Runde, ich fange wieder von vorne an, und nehme eben nur jenen Satz mit, der beim ersten Mal übrig geblieben ist. Dann werfe ich davon 80 Prozent weg usw. Das ähnelt der Arbeit eines Bildhauers, dem Hinzugeben und Wieder-Wegnehmen und Wieder-Hinzugeben, dem Schichten-Auftragen und Wieder-Abtragen.

B mir gefällt der vorgang, den du beschreibst, bildhauerei und sprachformung, verstehe ich gut. das produzieren, entkleiden, reduzieren, wieder bearbeiten, ein vorgang, der mir sehr vertraut ist. und ich denke, dieser dialog kann vielleicht ähnliches produzieren, schichten auftragen und wieder abtragen.

W Du hast den Begriff des „phonetischen Denkens“ erwähnt. Kannst du das genauer erklären?

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B für mich ist ein text immer auch ein fremder körper (er kommt vom autor, von den vom autor erfundenen figuren, von einem politischen system, das sich in die kodifi zierte form eines textes einschreibt, wie exemplarisch beim alexandriner, der den absolutismus in der sprache, in deren form und fügung repräsentiert). diesen fremden körper möchte ich erkunden, weil mich der körper des textes, der atem im denken und sprechen interessiert. – ein text ist eine lineare zeitlichkeit, weil er fast immer ein nacheinander-geschriebenes ist. diese linearität macht das medium aus und skandiert darüber die zeit. Wichtig ist, wann in einem satz was gesagt wird. nicht der gesamte inhalt eines satzes interessiert mich beim sprechen, sondern welches wort auf welches folgt, welche choreografie des denkens daraus entsteht. es geht darum, den verlauf eines satzes zu ergreifen, die wege und irrwege, und darum, auch die möglichkeiten eines anderen verlaufes zu aktivieren, einen möglichen sinn mitzudenken, der folgen könnte, jedoch im nächsten wort eine andere fügung erhält. es geht darum, einen satz nicht zu antizipieren, sondern ihn „wort nach wort“ zu erkunden. – damit diese erkundung materiell und theatral wird, muss man den körper eines jeden wortes ergreifen: seine silben, das folgen der konsonanten auf die vokale, erkunden, welche bewegung dies im mund, im atmen, im sprechen, im raum erzeugt. – wenn ich nun einem geschriebenen text folge, ist das phonetische denken der versuch, im sprechen jedes wort in seinem körper, im aufeinanderfolgen des kommenden wortes etc. zu ergreifen und das denken eines wortes klanglich zu produzieren, das dann zum satz wird im sprechen und füllen des raumes. – das denken wird in die pflicht der phonetischen erzeugung von kommunikation genommen, es wird medial, theatral.

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W Im Zusammenhang mit dem Thema Gouvernementalität haben wir öfters über die Figur des Piraten gesprochen. Wenn ich die Leitbilder und Leitsätze einer (mittlerweile durchgesetzten) Ideologie aufrufe, die versucht, die Beschäftigten und noch mehr die Beschäftigungslosen in Managementdiskurse hineinzuziehen und sie zu ständig zu steigernder Kreativität, Eigenverantwortung, Selbstverwirklichung usw. zu verpfl ichten, dann fällt mir die Figur des
Piraten ein. Interessant an dieser Figur ist die Ambivalenz: Einerseits dient der Pirat als Ideal von Selbstverwirklichung und Authentizität, andererseits bringt er durch seine anarchische Energie jede Ordnung zu Fall. – Zu Sprache und Piraterie stelle ich mir folgendes Bild vor: Irgendwo in Mittelamerika oder Südamerika wird Sprache abgebaut und auf Schiffe verladen, um nach Europa gebracht zu werden. Sozusagen neue Sprache für den alten Kontinent. Auffrischungssprache. Unterwegs aber werden die Schiffe überfallen und die Begriffe von den Piraten erbeutet. In den schlanken Hochhäusern der Unternehmerkultur werden auch andauernd neue Begriffe geformt, das heißt, werden aus Managementdiskursen oder einer wieder aufgesperrten New-Age-Küche ausgeborgt und zu den Subjekten verschifft. Zu den Subjekten, die noch von gestern sind. Ist das nicht die eigentliche Aufgabe der Piraten? Auf den Meeren die Schiffe mit den neuen Begriffen zu überfallen, sie zu entleeren, und sie leer in den Zielhafen zu schicken?

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B es gab mal ein experiment, bin mir nicht sicher, ob ich das schon mal erzählt habe, da wurden nonsenswörter gedruckt, in denen die silbenanzahl und der anfangs- und endbuchstabe mit existierenden wörtern übereinstimmten, aber die buchstaben im wort stimmten nicht, dennoch konnte man die Wörter lesen, verstehen. kann man sprache, den fl uss zerbrechen und wieder neu, fremd oder aufmerksamer zusammensetzen? interessant ist, dass frankreich während des absolutismus diese ganzen akademien gegründet hat, in denen klare kategorien von sprache gebildet wurden, welche wörter wie zu verwenden seien. Meist scheint auch in kontrollierten politischen systemen eine andere sprache zu entstehen, die lücken in die ordnung schlägt, in die kontrolle. das scheint die sprache zu verkehren, anders einzusetzen, aber auch ihre regeln deutlicher zu be- und ergreifen.

W In einer deiner Mails hast du die Formulierung „disziplinierte Verschwendung” gebraucht. Ich vergesse manchmal, dass Kunst mit Verschwendung zu tun hat, dass sie eigentlich an Verschwendung geknüpft ist. Das muss ich mir öfters bewusst machen in Momenten, in denen ich von meiner Arbeit Ergebnisse fordere wie ein Trainer von seiner Mannschaft. Auch unsere gemeinsame Arbeit hat mit „disziplinierter Verschwendung” zu tun, insofern wir uns den Luxus der Ineffi zienz leisten, indem wir unser Projekt sehr langsam entstehen lassen.

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Claudia Bosse ist Mitbegründerin des theatercombinat in Berlin (1996) und in Wien (1999), wo sie heute lebt. Sie arbeitet als Regisseurin, Choreografin und bildende Künstlerin (Installation).
Robert Woelfl wurde 1965 in Kärnten geboren und lebt in Wien. Seine Arbeiten umfassen Theaterstücke, Hörstücke, Prosaarbeiten und Videoessays. Für den steirischen herbst arbeiten Bosse und Woelfl im Rahmen des intermedialen
Projekts „Writing Acts” an einer gemeinsamen Produktion.

Writing Acts