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Festival

Leitmotive:
Teilhabe, Kollaboration und offene Quellen...

Die Windungen einer Schlange sind noch viel komplizierter als die Gänge eines Maulwurfbaus. (Gilles Deleuze)
steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



"Wo dockt man an die Geschichte an?"

Immer wieder in den letzten neunundreißig Jahren hat sich der steirische herbst neu erfunden – eine amorphe Institution in progress, die sich stets die Frage nach deneigenen Bedingungen und Notwendigkeiten als Plattform neuer Kunst stellt. Dabeiist der steirische herbst als Festival in mancher Hinsicht besonders: durch seine Vielstimmigkeit,durch die forcierte Kommunikation zwischen künstlerischen Disziplinen,durch die Verschränkung von ästhetischen Positionen mit theoretischem Diskurs.Besonders – und in der internationalen kulturpolitischen Situation immer notwendiger– ist auch die Positionierung als Festival der Produktion und der Prozesse, desErmöglichens und Initiierens. International und lokal.

Georg Schöllhammer spricht mit einer ehemaligenund der jetzigen herbst-Intendatin, Christine Frisinghelli und Veronica Kaup-Hasler, über Chancen und Risiken eines Festivals, über Zeitgenossenschaftund Mainstream, über Gralshüter und die Sehnsuchtnach Neuem.

Georg Schöllhammer: Seit seinen Gründerjahren Ende der 1960er eilt dem steirischen herbstder Ruf voraus, eines der wichtigsten Festivals zeitgenössischer Kunst zu sein, vergleichbar mitDonaueschingen, Avignon, Brüssel. Was ist dieses Ereignis heute, in einer Zeit, da der Begriff derAvantgarde blass geworden ist, die Zahl der Festivals inflationär? Was war es vor zehn Jahren?

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Christine Frisinghelli: Die große Herausforderung, die dieses Festival an jene, die es gestalten, stellt, hat sich eigentlich seit seiner Gründung 1968 nicht geändert. Der steirische herbst ist immer auch eine Behauptung gewesen: Wir zeigen die Auseinandersetzung mit aktuellsten Strömungen der Gegenwart. Das ist, glaube ich, eines der Spezifika dieses Festivals und es unterscheidet es nach wie vor von anderen. Und dass es ein Mehrspartenfestival ist. In der Musik bedeutet Avantgarde und Moderne etwas anderes als in der bildenden Kunst, als in der Literatur, als in eventhaften Praxen wie Performance und neuen Theaterformen – auch an solchen Unterschieden ist diese Behauptung immer wieder neu zu überprüfen. Wenn der Anspruch, den man sich mit dieser Behauptung stellt, so groß ist, dann sind es auch die Projektionen der lokalen Bevölkerung und der Leute, die für das Festival anreisen. Gleichzeitig ist diese Behauptung aber im jeweiligen Kontext immer wieder neu zu diskutieren und neu für den Ort zu definieren, in eine spezifische Ortsgebundenheit einzubinden. Das ist für mich nach wie vor die selbst gestellte Aufgabe. Allerdings haben sich die Ansprüche an das Festival oder die Sichtbarkeiten in den letzten Jahren verändert, schon allein durch die neuen Kommunikationswege und Austauschmöglichkeiten. Etwa stellen sich die Fragen der Auflösung der Ortsgebundenheit des Diskurses für das Festival schärfer als in seiner ersten Dekade: Was ist medial eigentlich nicht vermittelbar, muss aber nach außen medial vermittelt werden als das große Ereignis des Festivals? Was ist dann sozusagen der Kern? Kann man das erfahrbar machen, diese Auseinandersetzung, oder nimmt das Publikum heute eher das mit, was medial vermittelt und dann als bedeutungsvoll weitergegeben wird?

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Schöllhammer: Diese Fragen hatten sich ja für das Festival in der Zeit nach deiner Intendanz, in der es auch dem Großevent „Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas“ zuzuarbeiten hatte, verstärkt gestellt: Wieviel Mainstream kann man denn in dieses Festival einbringen? Aber schon zuvor, während du Programm gemacht hast, verschärfte sich international die Konkurrenz: Die Interdisziplinarität, die den herbst so unverwechselbar gemacht hatte, war plötzlich etwas, das auch in vielen der alten, aber vor allem in den neu gegründeten Theater, Kunst- oder Musikfestivals angestrengt wurde. Interdisziplinarität hatte aber gerade im steirischen herbst immer mit Ortsgebundenheit zu tun gehabt, mit der Kraft der hier arbeitenden Künstler und Institutionen.

Frisinghelli: Meine Ausgangssituation für den steirischen herbst war es, die Notwendigkeit der kollaborativen Struktur des Festivals zu analysieren und zu sehen, wie weit man das in einer Zeit des gehobenen Anspruchs an Veranstaltungsqualität, auch an den Anspruch an Eigenproduktion, halten kann. Das war ein wichtiges Thema. Wie auch die Frage danach, auf welche Weise das Festival Produktionsort sein kann: Wo war es das immer? Wo wollte man das neu betonen? Diese Beschäftigung mit der institutionellen Situation bedingte ja auch, dass man die Rolle des Festivals als Initiator, als Produzent, als ausführende Institution, als gehobene Marketingmaschine, wie immer, reflektierte.
„Es ist auch ein Vorteil, keine Geschichte in einer Stadt zu haben, sondern eine Beziehung erst aufzubauen.”Veronica Kaup-Hasler

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Schöllhammer: Mit Veronica Kaup-Hasler zeichnet nun jemand für das Programm verantwortlich, der in der Stadt keine Geschichte
hat. Christine Frisinghelli agierte mit dem Wissen um die spezifischen Verhältnisse in Graz selbst, deren Notwendigkeiten, auf denen dann die Pfropfreise ihres Programms Triebe sprießen lassen sollten.

Veronica Kaup-Hasler: Es ist auch ein Vorteil, von außen zu kommen, keine Geschichte in einer Stadt zu haben, sondern eine Beziehung erst aufzubauen. Mein Interesse ist es, mit den für mich relevantesten Kunstschaffenden auf lokaler und internationaler Ebene etwas in einem gemeinsamen Prozess zu erarbeiten. Und das zunächst einmal in den nächsten vier Jahren. Ich versuche, die Zeit so gut wie möglich für ein Nachdenken über das Festival und seine Struktur zu nutzen und dafür etwas mit den interessantesten Kräften zu entwickeln. Das ist eine Herausforderung, weil es kaum vergleichbare Festivals mit einer derart starken lokalen Einbindung und Tradition gibt, wo das Kollaborative sozusagen Teil der Identität ist. Darüber hinaus gibt es – und da ist der herbst von Anbeginn an avantgardistisch als Institution der Institutionskritik – ein permanentes Ringen um Identität, um das Selbstverständnis als Plattform für aktuelle Kunst. Von außen kommend, habe ich den herbst immer als Festival der Produktion gesehen. Und das muss auch weiterhin die Identität des Festivals prägen – als Festival der Kunst und des Diskurses. Am Anfang der Konzeption steht ja die Analyse: Man setzt sich mit der Identität und dem Ringen um ein Profil dieses Festivals in den letzten Jahrzehnten auseinander. Man fragt sich und andere: Was ist da passiert? Welche künstlerischen Leitungen haben dieses Festival geprägt? Das ist ein ungeheurer Fundus, von dem man sich dann allerdings auch einmal lösen muss.

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Frisinghelli: In der speziellen geopolitischen Lage und der historischen Situation von Graz konnte in der ersten Nachkriegsgeneration ja auch sehr viel an Künstlerischem radikal und scharf formuliert werden. Schon kurz nach dem Krieg gibt es in der Literatur, in der Musik starke Positionen, die eine ganz lange Kontinuität in ihrem Wirken vor Ort haben. Das hatte zur Folge, dass sich auch die Kulturpolitik mit diesen Positionen verändern musste, um eine Basis zu bilden für das, was dann Ende der 1950er Jahre die Gründung des Forum Stadtpark, Ende der 1960er Jahre die Gründung des Festivals beförderte. Es war wirklich der Anspruch dieser Generation, in einer sehr engen und sehr genauen Konzeption Avantgarde zu sein, also zeitgenössisch zu arbeiten und: zusammen arbeiten zu wollen. Meine erste Erfahrung mit wirklich zeitgenössischer Kunst war 1967 die Dreilländerbiennale Trigon. Günther Domenig und Eilfried Huth entwarfen im Künstlerhaus die Ausstellung mit Künstlern aus Italien, dem ehemaligen Jugoslawien und Österreich – eine unglaubliche Ansammlung von absolut zeitgenössischen Positionen. Jeder Künstler wurde eingeladen, sich mit den beiden Ausstellungsarchitekten so lange zu unterhalten, bis der Raum, den man brauchte, gebaut war. Es war für mich sozusagen der Beginn der Wahrnehmung dessen, was Graz war. Der steirische herbst war ein Jahr danach gegründet.

Schöllhammer: Die Ausnahmesituation der 1960er und frühen 1970er kann man nicht wieder herstellen, heute ist der Umraum radikal anders. Mit welchen Fragen, wenn überhaupt, schließt man an diesen Ansprüchen an?

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Kaup-Hasler: Wie reagiert man in einer übereventisierten Gesellschaft und einer unübersichtlich gewordenen Kunstlandschaft? Was heißt heute, gänzlich der Zeitgenossenschaft verpflichtet zu sein? Wie kann man den verdichteten Zeitraum des Festivals, den man für sich als Ausnahmesituation definiert, erfahrbar machen, und wie kann man Dinge, die man jetzt für notwendig erachtet, mit einem Publikum teilen? Stimmt das, was man möchte, auch mit dem Kontext überein, in dem man agiert? Wie nahe ist man an einem wirklich relevanten Thema? Wie muss man sich von gewissen Entwicklungen distanzieren, um neue Akzente setzen zu können? Und wo dockt man an die Geschichte an? Da gibt es einige Punkte, die mir in der Analyse sehr wichtig geworden sind, wie zum Beispiel die Tradition eines Diskurses, der nicht nur Experten oder ein Spartenpublikum befriedigt, sondern gesellschaftstheoretische wie ästhetische Relevanz hat. Diese Foren des Aufeinandertreffens von Künstlern und Theoretikern unterschiedlicher Provenienz geraten meiner Beobachtung nach zunehmend in Gefahr. Ein Festival hat die große Möglichkeit, verdichtet Menschen aus unterschiedlichen Ländern für einen kurzen Moment zusammenzubringen, ohne die Belastung einer längerfristigen Verbindlichkeit – wie im heurigen Programm u.a. beim „Wörterbuch des Krieges“, wo für zwei Tage die Begriffsbildung im Feld des Krieges reflektiert wird. Für mich war in der Analyse der Kraft des steirischen herbst klar, dass es darum geht, seine Interdisziplinarität oder Transdisziplinarität wirklich zu nutzen und nicht einfach das Schiff in eine andere Richtung zu kippen und etwa zu sagen: Wir machen jetzt ein sehr theater-, performancelastiges Festival. Das wäre uninteressant. Für mich ist der herbst auch persönlich, als Dramaturgin, Kuratorin, ein Aufbruch ins Ungewisse. Es wird ja immer gefragt, was machen Sie anders? Was ist neu? Diesen Ruf nach dem Neuen sehe ich mit einer gewissen Ironie – natürlich auch, weil er letztendlich banal ist. Weil er nicht verbunden ist mit der Frage nach Formen, Formaten und Inhalten. Wie kann man das Tun, ohne in die Falle des Events zu gehen?

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Frisinghelli: Da sind jetzt Stichworte gefallen, die für mich auch sehr wichtig gewesen sind. Zum Beispiel die klandestinen Netzwerke in der Geschichte des steirischen herbst. Alle, die den herbst geführt haben, inklusive des Direktoriums einer Gruppe von Kulturschaffenden bis 1980/81, haben diese versteckten Netzwerke oder sichtbaren Netzwerke aktiviert. Das ist eigentlich das avantgardistische Erbe. Weniger stand die Idee der Verteidigung einer Form oder des Sich Abgrenzens von anderen Formen im Vordergrund, sondern sich mit diesem Potenzial der Entfremdung vor Ort auszusetzen. Die größte Herausforderung war es, diese Diskurse, die wir alle aus den publizierten Debatten kennen – was einem auch ständig vorgeworfen wurde, dass alles zu theoretisch sei –, auf den steirischen herbst anzuwenden. Was man interessant finden konnte, aber auch durchstehen musste. Man musste in der Lage sein, mit einem marginalisierten Diskurs an den Ort zu gehen und in dieser Diversifizierung authentisch zu bleiben. Zur Eröffnung des steirischen herbst 1999 ist zeitgleich, wirklich zeitgleich zum Eröffnungsevent, Jörg Haider am Hauptplatz aufgetreten. Wie weit kann man in so einer Situation den Anspruch unseres damaligen Programms, queere Subkultur zu thematisieren halten, und gleichzeitig auf diese Situation reagieren?


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Schöllhammer
: Das ist eigentlich der Gründungskonflikt des steirischen herbst: an einem Ort mit einer nicht unproblematischen Vergangenheit und in einem Land, das mitten in schwierigen Modernisierungsprozessen steckt, ein avantgardistisches Programm auch zu einem Volksbildungsprogramm zu machen. Das war zumindest der große Gründungsmythos. Ein anderer Anspruch war es, die lokal produktiven Kräfte mit internationalen – heute würde man sagen mit Netzwerken, früher hat man gesagt mit Gleichgesinnten – in eine Arbeits- und Austauschsituation zu bringen. Der Festivalgedanke von Labors, Research- Situationen, internationalen Workshops, an denen das Publikum teilhaben darf, und nicht die große repräsentative Aufführung à la Salzburg. Das wäre der zweite Gründungsgedanke.

Frisinghelli: Und ein Anspruch, dass dieses Projekt Festival heißt, also ein Ereignis sein soll.

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Kaup-Hasler: Aber darum geht es – die Spannung zwischen notwendigem Research-Gedanken und ebenso wichtigem Konzept des Ereignisses herzustellen. Wir haben von Anfang an gewusst, dass wir einen bestimmten Teil des Gesamtbudgets für theoretische Fragen, für Workshops, für Vorträge, für das „Wörterbuch des Krieges“, für bestimmte Formate, die auch unterschiedliche Grade an Öffnung haben, verwenden werden. In unserer Theorieschiene, der „Spielfeldforschung“ gibt es bewusst geschlossene Laborsituationen, für die man sich anmelden muss, damit auch eine bestimmte Qualität gewährleistet ist. Diese Formate aber öffnen sich wiederum, auch insofern sie meist auf dem Prinzip „invite to invite“ basieren, wo jemand eingeladen ist, weitere Beiträger einzuladen. Und sie öffnen sich immer wieder in Vorträgen oder Minisymposien. Einem breiteren Publikum zugänglich wird etwa das „Wörterbuch des Krieges“ sein. Und dann gibt es Räume, die sehr weit geöffnet werden: das Festivalzentrum ist mehr als nur eine Bar oder ein Treffpunkt. Es ist ein bewusst gestalteter Ort, an dem es auch Programm gibt, der offen sein wird für die Begegnung von Künstlern, Kollegen, Presse, Publikum. Auch zeitlich gibt es Formatverschiebungen, die jetzt schon begonnen haben und übers Jahr hinausgehen: Ein Architektur-, ein Performance-Projekt und andere Prozesse, die lange schon angefangen haben und erst in der Zukunft eine größere Sichtbarkeit haben werden. Da ist es schwer, eindeutig zu bestimmen, wo der steirische herbst anfängt und wo er aufhört ...

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Schöllhammer: Das Festival übernimmt als Produktionsort viele Funktionen, die ehedem den klassischen „alternativen” Kulturinstitutionen und Gruppierungen zufielen, wohingegen diese von den Förderern in Projekte und in Festivalisierungen gedrängt werden? Um diese Idee des Produktionsfestivals aufrechterhalten zu können? Daran schließt sich die Frage an, wie präzise man entlang seiner thematischen Linien gehen muss, ohne dadurch in Kauf zu nehmen, unidentifizierbar zu werden?

Frisinghelli: Das fand ich immer die große Herausforderung: das zu entwickeln, was ein Festival ja a priori auch immer hat – großes Marketing, Werbung nach außen, die Behauptung, auch Themenführerschaft zu haben, einer der Orte zu sein, an dem Bedeutungen verhandelt werden. Und das immer a priori, weil man ein Programm bewerben soll, bevor man es aus der Tasche gezogen hat, um dann mit den besten Vertretern, Denkern, Künstlern zu arbeiten, die einem selbst gegenüber den Anspruch zurück formulieren. Die Frage wird jetzt nicht anders sein. Welche Formen entsprechen der heutigen Produktion, dem heutigen Diskurs und welche Formen sind aber auch in dem Sinn festivalfähig?

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Kaup-Hasler: Du fragst, ob es überhaupt interessant für ein zeitgenössisches Festival ist, alles einem Thema unterzuordnen.
Für uns war das ein relativ langweiliger Gedanke: Kunst und Wissensproduktion sind zu vielgestaltig und übersichtlich, als dass wir ein einziges Thema behaupten könnten. Andererseits fanden wir es schade, ganz auf thematische Schwerpunkte zu verzichten, da das die Möglichkeit eines Festivals ist, relevante Inhalte zu bündeln und durch Kunst zu befragen. Wir agieren also mit Themenfeldern, Leitmotiven, wie zum Beispiel Kontrolle, Teilhabe und Open Source. Diese Themen sind aus einem Gesprächsprozess mit Partnern in der Stadt und international gewachsen. Daraus hat sich ein sehr schöner, vielstimmiger Bogen von Ausstellungen, Performances und anderen Formaten entwickelt. Die Leitmotive klingen immer wieder auf, sind spürbar und verdichten sich zuweilen. Aber wir wollten auch immer den Raum für das Unerwartete, für das ganz Andere lassen.

Frisinghelli
: Was mich auch immer interessiert hat, war jene Positionen zu stärken, die eben nicht diese vorerwartete Festivaltüchtigkeit haben. Ich glaube, dass das eine zentrale Aufgabe ist: eine Form zu finden für eine hermetische, intime Praxis. Der intime Gestus des Schreibens ist zum Beispiel nicht per se das große Ereignis. Dem trotzdem eine Form zu lassen, den Prozess sichtbar machen als Ereignis, ohne dass sich die Geste des individuellen Schreibens verbiegen, verändern, anbiedern oder anpassen muss, das ist, glaube ich, das Fragile.

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Kaup-Hasler: Und man muss auch selbst immer wieder überprüfen, ob das, was man an Formaten erfindet, richtig gedacht ist. Oder ob der Künstler, Theoretiker etc., der Richtige dafür ist.

Schöllhammer: Ein Festival, das über die Form des Festivals nachdenkt, das ist eine schöne Metapher und eine Klammer, die Eure Konzepte des herbst miteinander verbindet, wie auch die Idee ganz stark mit den Künstlern zu produzieren und Repräsentationswünsche von außen abzulehnen.

Frisinghelli: Ja, die zitierte absolute Ausrichtung auf dem Inhaltlichen, auf dem Herstellen des Programms, auf den Prozessen, die dazu notwendig sind, auf den Fragen, die dazu, die dafür da sind, war für mich die wichtigste Arbeit. Innerhalb zeitgenössischer künstlerischer Arbeit interessanter, glaubwürdiger, verlässlicher, kompetenter Partner zu sein für künstlerische Produktion und dann diese Kompetenz einzubringen, das als Programm verkaufen zu können, weil ja Künstler nicht per se Festivalprogramm herstellen, heißt jedes Mal eine Form zu erfinden und über die andere Richtung hinweg zu verteidigen.

Schöllhammer: Wobei auch die Konzentration auf ein Mehrspartenfestival bedeutet, dass man mit vielerlei Ungleichzeitigkeiten arbeiten muss: die Öffnung hin zu konzeptuellen Tendenzen, wie sie derzeit im modernen Tanz- und Performancebereich zu spüren ist, geht gegenläufig mit der Schließung und dem Interesse an Formdiskursen in der bildenden Kunst; Film und Videoarbeiten haben einen unterschiedlichen Zugriff auf ihre Formate und gänzlich andere Theoriebildungen. Wenn du hier sagst, der herbst könnte auch ein Labor für Formate sein, wie wird er diese Heterogenitäten und Genrewidersprüche aufnehmen können?

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Kaup-Hasler: Wir versuchen das in vielerlei Hinsicht. Und sicher sind die verschidenen Rhythmen und Heterogenitäten nicht einfach unter einen Hut zu bringen. Es geht aber vor allem auch hier darum, die einzelnen Kunstformen in einen Dialog zu bringen. Was passiert, wenn Künstler aus unterschiedlichen Bereichen miteinander über Produktionsweisen, über Verfahren, Techniken, formale, strukturelle und inhaltliche Fragen reden, um etwas gemeinsam zu entwickeln? Ich denke da zum Beispiel an das Projekt „Writing Acts“, das ein kollaboratives Performance- und Schreibprojekt ist, in dem junge Schriftsteller mit Regisseuren, Musikern, Performern und bildenden Künstlern über Autorenschaft, Erzählstrategien und Performativität nachdenken und gemeinsam etwas erarbeiten. Der multidisziplinäre und performative Ansatz wird in einer Reihe von Ausstellungsprojekten formuliert. Sei es bei „No Space Is Innocent“, „Slum“ oder in „Protections. Das ist keine Ausstellung“, wo Performer wie Tim Etchells mit bildenden Künstlern den Ausstellungsraum bespielen und unterschiedliche Verfahrensweisen entwickeln, auf dieses Gebäude zu reagieren. In der zeitgenössischen Kunst wird seit langem stark inter-, multi- und transdisziplinär gearbeitet. Spielerisch wird diese Idee der Überlappung von Disziplinen durch den „Programm-Equalizer“ auf unserer Webseite umgesetzt: Da kann man selbst verschiedene Webseite umgesetzt: Da kann man selbst verschiedene Mengen Literatur, Architektur, oder Theater-Performance zusammenmischen und wird so zur eigenverantwortlichen aktiven Teilnahme angeregt.

Schöllhammer: Was war und was wäre denn ein Erfolg des Festivals?

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Kaup-Hasler: Es wäre ein großer Erfolg, wenn man wirklich einen Freiraum für die Kunst schaffen könnte, auch für das Fragile, Marginalisierte. Und wenn der steirische herbst für das Initiieren von aufregenden künstlerischen Arbeiten und Prozessen stünde, für Kunstereignisse, die in der Lage sind, auf den Zustand der Welt, auf gesellschaftliche Prozesse zu reagieren, die am Notwendigen arbeiten. Und vielleicht hinterlässt der steirische herbst dann ja auch Spuren, die nachhaltig sind und über den eigentlichen Festivalzeitraum sichtbar bleiben.

Frisinghelli: In der Resonanz hat sich, glaube ich, schon festgesetzt, dass es mir möglich war, dem Festival so etwas wie eine Haltung zu geben, die etwas Unbeugsames verbindet, also eine gewisse Starrköpfigkeit, die gleichzeitig aber auch so diesen Respekt für die Ungeschütztheit künstlerischer Arbeit hatte. Für die Zukunft sollte der herbst diesen diskursiven Charakter behalten und in der Gefährdetheit auch seine Agilität bewahren. Der steirische herbst erfindet sich ständig neu und muss das vielleicht auch, aber gleichzeitig, vielleicht in dieser Gefährdetheit, spürt man, hat nicht die Verpflichtung Gralshüter zu sein, oder jene, den Riesenerfolg zu verteidigen.

Schöllhammer: Veronica, welchen Satz willst du im Zusammenhang mit deinem Programm nie mehr hören?

Kaup-Hasler: Dass es ein Schaufenster der steirischen Kultur in die Welt sein soll.

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Christine Frisinghelli war von 1996 bis 1999 Intendantin des steirischen herbst. Sie ist Ausstellungskuratorin, Lehrbeauftragte in Wien, Zürich und Graz, Mitbegründerin und Leiterin von Camera Austria.
Veronica Kaup-Hasler war Dramaturgin am Theater Basel und bei den Wiener Festwochen, Lehrbeauftragte an der Akademie der Bildenden Künste und künstlerische Leiterin des Festivals Theaterformen in Hannover und Braunschweig. Seit 2006 ist sie Intendantin des steirischen herbst.
Georg Schöllhammer ist Chefredakteur der von ihm 1995 mitbegründeten Zeitschrift springerin – Hefte für Gegenwartskunst, Autor und freier Kurator. Er ist Leiter der documenta 12 magazines.