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Die Windungen einer Schlange sind noch viel komplizierter als die Gänge eines Maulwurfbaus. (Gilles Deleuze)
steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Kater Lesen
Armin Petras

barock heißt auf portugiesisch so etwas wie schiefe perle.
shakespeare war bekanntlich ein barockautor. er lebte in einer zeit in der nicht klar war ob die welt einen deckel hat oder ob es wie giordano bruno und kepler vorschlugen unendliche welten sind die wir aushalten müssen.
hamlet bekam probleme mit dem aushalten. er wünschte sich die nussschale zurück in der er wieder könig sein könnte. aber wir wissen sie wird es nie mehr geben der mutterschoss ist eine einbahnstraße und seine einzige rettung bleibt also vorgetäuschter wahnsinn. doch auch der hilft ihm nicht vor der schiefen/vergifteten perle die in seinen becher geworfen wird. man hat den eindruck dass er es auch gar nicht wirklich will – dass man ihm hilft zu fliehen vor der schiefen perle. vielleicht weil es keine flucht gab in ein anderes jahrhundert. was ich sagen will dass zu einem autor ein anker: seine zeit gehört. Ein dramatiker muss die strömung seiner zeit spüren. nicht im journalistischen sinne – was ist das thema der saison – eher im mathematischen sinne: was ist die ableitung/die formel der zeit.
dabei wird schnell klar dass es sich nicht um ein bestimmtes sujet handelt. migration die probleme der einbürgerung anpassung und ermächtigung im fremden land werden zb. von so verschiedenen autoren wie euripides (medea) sophokles (ajax kinder) gerhart hauptmann (der biberpelz) und heiner müller (die umsiedlerin) beschrieben. wichtiger als der stoff scheint mir die jeweilige historische bewegung des materials zu sein. hölderlin braucht fünfzehn jahre und drei fassungen um empedokles in den ätna stürzen zu lassen.

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Unterdessen wird deutschland fast revolutionär, verwandeln sich die französischen revolutionäre in monarchisten und schließlich noch zu besatzungstruppen. und das alles in der spanne eines halben lebens. auch hölderlin rettet sich wie hamlet vor dem wahnsinn, in den wahnsinn – nur bleibt es bei ihm nicht beim antäuschen.

der zweite anker neben der zeit ist für den dramatiker seine landschaft. büchner ohne hessen – brecht fleisser kroetz goetz achternbusch ohne bayern. kleist fontane ohne brandenburg. Jelinek ohne wien sind nicht denkbar. dabei geht es natürlich um sprache – genauer gesagt muttersprache. neben der milch gibt es die sprache die wir einsaugen. begriffe/wendungen/abfolgen/differenzen/zusätze. diese sprachen bewegen sich genauso wie die menschen die sie sprechen. verwandeln sich unaufhörlich. werden beschossen von anderen sprachen die schneller als jemals zuvor in der geschichte der menschheit ankommen und sich reindrängeln. sprache ist dabei ganz eindeutig nicht nur beschreibung von welt sondern sie ist auch selbst welt. materialisierte auffassung von allem willkürlich zerbrochen in kleinste partikel zum zusammensetzen von neuen welten.

diese neuen welten aus denen sprache hergestellt werden kann brauchen einen dritten anker.
es ist mehr ein kompass als ein anker. im sinne der einstürzenden neubauten die vor zwanzig jahren schon feststellten sehnsucht ist die einzige energie. ein begriff für diese energie zu finden ist schwer zumal sie bei autoren aus ganz unterschiedlichen herzkammern zu fließen scheint. bei shakespeare war es die not ein geschäft – sein theater am laufen zu halten – bei kleist ging es nur ums leben, bei fassbinder und schleef um den kampf mit der mutter, bei büchner darum wie lebt man mit abgerissenen augenlidern – immer alles sehen.

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bei goethe ist es wohl am ehesten ein konglomerat aus trieben – vor allem aber immer eine große fresse haben zu müssen – erster zu sein. egal aber wie seltsam unbegründet oder infernalisch für den außenstehenden der jeweilige antrieb zu sein scheint – dieser anker not bestimmt die ordnung des materials – wohin es strömt muss nicht gesucht werden. im endeffekt weiß das feld in welche richtung der wind die ähren legen wird. je größer die not um so tiefer die zeichen im brett.

zeit. landschaft. magnet.
mehr kann ich nicht finden. nicht wirklich. damit heißt es umzugehen als regisseur. das für heute jetzt hier zu sichten und zu theatralisieren. die fehler zu kaschieren und das schöne blühen zu lassen – bei kater wie bei allen anderen.

Armin Petras ist Theaterregisseur und unter dem Pseudonym Fritz Kater auch erfolgreicher Dramatiker. Katers Stücke „Vineta (Oderwassersucht)”, „zeit zu lieben zeit zu sterben”, „we are camera / jasonmaterial” und „Drei von fünf Millionen” wurden 2002, 2003, 2004 und 2005 in Inszenierungen von Petras zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Ab der Spielzeit 2006/2007 ist er Intendant des Maxim Gorki Theater in Berlin.
Beim steirischen herbst zeigt Armin Petras die Uraufführung von Fritz Katers Industrial Soap Opera „Tanzen!”.

Fritz Kater (D) / Armin Petras (D)
Tanzen!
Eine Industrial Soap Opera