wukonig.com



steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Falter - 18.10.2006
herbst reloaded


Was muss ein Festival können? Ganz schön viel - vor allem wenn es steirischer herbst heißt und auf eine derart wechselhafte Geschichte unterschiedlichster Vorstellungen und Erwartungen aufbauen muss, die noch dazu gut vierzig Jahr zurück reicht. Damals - man kann das nicht oft genug in Erinnerung rufen - war die Welt und damit auch die Kunstwelt eine fundamental andere. Zum Beispiel durfte da sogar noch Dieter Hallervorden, damals selbst schon gut in seinen Dreißigern, im herbst auftreten. Von größeren Protesten wegen mangelnder Zeitgenossenschaft ist nichts überliefert.

Zeitgenossenschaft ist jedenfalls etwas, das vom steirischen herbst heute zu allererst erwartet wird. Und dazu, dass diese Zeitgenossenschaft auch noch ein wenig abfärben möge auf die noch weniger zeitgenössischen Mitbürgerinnen und-bürger. Ganz im Sinne der Aufklärung. Der herbst solle in der Stadt sichtbar werden, heißt es, seine Spuren - der Aufregung, gar der Erregung - quer durch die Grazer Altstadt ziehen. Müßig zu betonen, dass es inzwischen nicht einfacher geworden ist, diese aufklärungsbegierigen Bürger anzusprechen, sie in einem Moment zu packen, in dem sie gerade nicht Millionshow glotzen, Pullis bei H&M kaufen, im Asia-Spa abhängen oder Popcorn im Mulitplex in sich hineinstopfen. Vielleicht geht ja sogar Hallervorden inzwischen wieder durch.

Aber vom herbst wird noch mehr erwartet. Mit dem Anspruch von Zeitgenossenschaft ist auch die Erwartung verbunden, der herbst solle nicht nur reproduzieren, was in den bedeutenden Häusern der Welt schon vorgekaut wurde, sondern er müsse vor allem Eigenproduktionen vorweisen, weltklassige Erst-und Uraufführungen bieten, die auch noch an ferneren Orten als Fohnsdorf für Aufmerksamkeit sorgen. Und das ganze müsse natürlich auch noch die bekannten Grenzen der Genres und Ästhetiken transzendieren und bislang noch völlig unbekannte Teile der Kunstgalaxie ausleuchten. Die Mission von Star Trek Voyager war dagegen ein Spaziergang, barfuß im Park.

Die neue herbst-Intendantin Veronika Kaup-Hasler hat jedenfalls - so weit sich das eben beurteilen lässt - diese Mission im ersten Jahr mit Bravour gemeistert. Es gab Theater in einer Formenvielfalt in Graz zu erleben wie seit Jahren nicht, Ausnahmeproduktionen wie das "Concert for Greenland" oder "vsprs", große Setzungen im Musikprotokoll und eine kaum überschaubare Vielzahl kleiner und kleinster Formen, die auf wunderbare Weise miteinander zu kommunizieren schienen. Natürlich ist nicht alles geglückt, Richard Maxwells "End of Reality" geriet zu dünn und holprig, im Kunsthaus waren auch die Tücken performativer Prozesse gut zu beobachten und im Festivalzentrum gab es dramaturgische Hänger.

Insgesamt hat das Festival aber eine Leichtigkeit wiedergewonnen, die es in den Jahren zuvor - nicht zuletzt durch die engen Fesseln der List-Halle - verloren hatte. Und dazu ein Publikum, das, selbst bei "schwierigen" Produktionen, überraschend jung war. Gute Voraussetzungen, um das Experiment in den nächsten Jahren bedächtig voranzutreiben, die Forschungssonden weiter auszuschicken. Dass das heuer mit einem Budget gelungen ist, über das man am Mönchsberg, am Bodensee, im Museumsquartier nur milde lächeln würde, ist an sich ein kleines Wunder. Ein perfekter Neustart für den herbst? Close enough.

Thomas Wolkinger