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Festivalzentrum
Frankfurter Allgemeine Zeitung - 26.09.2006
Biomacho
Petras läßt "Tanzen!" beim Grazer "Steirischen Herbst"

Der Regisseur Armin Petras, seit dieser Spielzeit Intendant des Gorki Theaters in Berlin, hält ja bekanntlich schon des längeren die Fiktion aufrecht, er sei nicht identisch mit dem Dramatiker Fritz Kater, vielmehr schreibe dieser immer wieder frische Stücke, die nur er, Petras, dann zur Aufführung bringen könne. Bevor Katers Stück "Tanzen!" in einer sogenannten "Ring- Uraufführung" in Leipzig und im Gorki herauskommt, stellte es Petras jetzt beim Festival "Steirischer Herbst" in Graz schon mal vor.

Im reizend chaotisch wirkenden Theater im Palais direkt bei der Kunstuniversität logiert nun also "Tanzen! Eine Industrial Soap Opera". Die lockere Szenenfolge handelt von drei Menschen in einem Biotechunternehmen, und die Wahl dieser Branche signalisiert wohl bereits höchste Aktualität. Da gibt es den "Human Ressource Manager" Bernie, früher Personalchef, der aus seiner Position gerne sexuelles Kapital schlüge, dabei ständig um den eigenen Arbeitsplatz fürchtet.

Um die potentiellen weiblichen Opfer gefügig zu kriegen, kramt er die wildesten Geschichten hervor. Mal behauptet er von sich, er sei die rechte Hand vom Chef, mal will er diesen zusammen mit dem weiblichen Objekt der Begierde aushebeln; dann wieder bekennt Bernie, er habe für ein behindertes Kind zu sorgen oder aber, er sei ohne jeglichen Anhang, liebe Stummfilme, besonders die mit Buster Keaton. Was für herrliche Metaphern für das wirkliche Leben biete doch dessen Klassiker "Der General", wenn dieser mit seiner Lok unaufhaltsam auf den Abgrund zurase. Was übrigens gar nicht stimmt - die Lokomotive nämlich rollt brav wieder zurück. Inga, bald vierzig, wird mit dem Rauswurf gedroht, sie sei nicht mehr jung, dynamisch und attraktiv genug. Vorher möge sie aber doch bitte die Verzichtserklärung auf sämtliche arbeitsrechtlichen Sicherheiten unterschreiben. Sandra dagegen gebärdet sich jung und dynamisch, und wenn sie es in dieser Firma nicht weiterbringt, findet sie halt was Neues oder strippt vor der Webcam oder beendet eines ihrer Studien. Wie es so geht in der Generation Pfeifdrauf.

Mit diesen drei zappelnden Klischees bestreitet Kater alias Petras den Abend, und weil Petras alias Kater immer wieder seinem Ruf, "rasant" zu sein, gerecht werden muß, nimmt Petras sich für Katers Klischees nur fünfundsiebzig Minuten Zeit. Für eine ordentliche Bühne langt es auch nicht, die drei Darsteller dürfen über zusammengeschobene und mit weißem Packpapier bespannte Tische turnen oder dahinter herumlümmeln. Wenn sie auf den Tischen stehen, soll das die Korridore darstellen, wenn sie hinter den Tischen sitzen, bedeutet das Büro. Theater geht also auch mit schmalem Budget. Und damit niemand das Genlabor vergißt, hüllen sie sich immer wieder in weiße Schutzanzüge, duschen hinter durchsichtigen Vorhängen oder spielen mit offenbar gentechnisch veränderten Bananen herum. Im Hintergrund flimmert der Bildschirm der allgegenwärtigen Überwachungskameras.

Und weil des öfteren von Stummfilmen die Rede ist, klatscht Peter Moltzen, der seinen Bernie wie Robin Williams in einer seiner Psychiaterrollen anlegt, der jugendlich rosa gekleideten Nicolette Krebitz stummfilmgerecht Schwedenbomben und Schokobananen ins Gesicht. Yvon Jansen dagegen verwechselt des öfteren Angst um die Zukunft mit hysterischen Schreianfällen, und warum sich Bernie mittels einer Kinderschere selbst beschneiden muß, entzieht sich jeder Erklärung. Dazwischen dröhnen bombastische Musikfetzen (hauptsächlich von Phil Collins und Bruce Springsteen) die Ohren des Publikums zu, um nur noch von bunten Neonblitzlichtgewittern an Unannehmlichkeit übertroffen zu werden.


Fragen über die moderne Arbeitswelt und zwischenmenschliche Beziehungen, die der Stoff vorzugeben scheint, werden nicht gestellt, sondern mit zwei, drei Wortspielen abgetan à la: "Der Chef spricht ja nicht ägyptisch mit mir" oder "Vielleicht passiert aber etwas, das Ihnen spanisch vorkommt". Die These, daß sich gesellschaftliche Macht in den letzten Dekaden entpersonalisiert und verflüchtigt hat und damit jeglichem Widerstand den Boden entzieht, ist wohl auch in dieses Stück vorgedrungen, erschöpft sich aber im halbgaren Wahnsinn der Protagonisten - und in einem Chef als Phantom, das zwischen Atlanta und der Firma hin- und herpendelt. So doof, wie Kater alias Petras ihn macht, ist freilich kein Kapitalismus. Hoffentlich hat er für Berlin Besseres in der Hinterhand.
Martin Lhotzky