wukonig.com



steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Der Falter - 08.02.2006
"Ich werde nicht langsamer"
STEIRISCHER HERBST Veronica Kaup-Hasler, Neo-Intendantin des steirischen herbsts, steckt mitten in den Vorbereitungen für das Festival 2006. Und sie arbeitet an einer Neupositionierung. Ein Gespräch.

Die große Programmpräsentation werde erst im März stattfinden,
wimmelt Kaup-Hasler derzeit noch Fragen nach dem Programm ab.
Trotzdem lässt sich eine erfrischend spannende Tendenz in ihrer
herbst-Konzeption erkennen: Internationale Künstler von Norwegen, USA
bis Italien werden "performative" Theaterformen, Workshops mit
Öffnungen zum Publikum sowie Ausstellungen in und rund um Graz an
"neuen" Orten beleben, wie sie im Gespräch mit dem Falter betont.

   Der Weg der neuen Indentantin in Graz war von Beginn an mit
Steinen gepflastert. Kaum wurde sie von Langzeit-herbst-Präsident
Kurt Jungwirth im Herbst 2004 als Nachfolgerin von Peter Oswald ab
2006 präsentiert, geriet sie in die Mühlen der steirischen
Kulturpolitik. Der herbst war nach dem Kulturhype 2003 vor allem
durch das Betreiben der Helmut-List-Halle finanziell ins Trudeln
geraten. Seine Organisationsstruktur war veraltet und unüberschaubar.
Kaup-Hasler forderte eine wirtschaftliche Entkoppelung der List-Halle
vom herbst sowie eine "herbst-Neu GmbH", die frei von Altlasten
agieren kann. Nach langem politischen Hin und Her kam es zu dieser
Neuregelung, aber mit einem Wermutstropfen: Kaup-Hasler muss die
Schulden über eine Million Euro, die aus der Ära Peter Oswalds übrig
geblieben sind, in Form eines Kredits in den kommenden Jahren aus
ihrem Budget bezahlen. Erst im Juni 2005 bekam Kaup-Hasler ihren
Vertrag und Wochen später vom Land ein Büro zur Verfügung gestellt.
Anfang Jänner 2006 ist sie mit der neuen, alten Crew ins herbst-Büro
Palais Attems eingezogen. Der Falter traf Kaup-Hasler, die zuletzt
das Festival Theaterformen in Braunschweig und Hannover leitete, dort
zu einem Gespräch über die Selbstausbeutung im Kulturbetrieb, das
Tempo von Graz und den künstlerischen Nachwuchs.

   Falter: Haben Sie ein "neues" Team?

   Veronica Kaup-Hasler: Wir haben das Team weitestgehend behalten,
es gab ein paar zentrale Änderungen, die wir vorgenommen haben. Und
auch Umstrukturierungen innerhalb des Teams.

   Gibt es Mentalitätsunterschiede zwischen deutscher und
österreichischer Kulturbetriebsamkeit?

   Das kann ich schwer sagen, weil ich immer mit Österreichern und
Deutschen zusammengearbeitet habe sowie mit internationalen
Künstlern. Mein eng vertrauter kaufmännischer Direktor (Richard
Schweitzer, Anm. d. Red.) ist der klassische Wiener. Sprachlich ist
er absolut unkorrigierbar, auch nach vier Jahren Deutschland.
Charakterlich ist er aber kein Wiener, eher weltoffen und neugierig.
Den leitenden Dramaturgen, Florian Malzacher, könnte man eher als
Deutschen bezeichnen. Der hat auch ein anderes Tempo.

   Ich selbst bin in Deutschland geboren und in Wien aufgewachsen.
Von der Mentalität her würde mich eher dem Balkan, dem Orient oder
überall, wo Meer ist, zuordnen.

   Das andere ist die Frage nach dem Tempo. Man spürt, dass Graz
grundsätzlich ein anderes Tempo hat.

   Wie bewegt sich Graz - schneller oder langsamer?

   Es ist wesentlich langsamer. Das bringt mich in manchen Momenten
zur Verzweiflung. In anderen Momenten hat man das Gefühl, dass es
vielleicht hinter dieser Langsamkeit eine ungeahnte Weisheit gibt. Es
schwankt zwischen Depression, Lethargie und dem Erkennen, dass
dahinter etwas Transzendentales stecken könnte. Ab und zu tut es mir
auch sehr gut. Ich bin ein Mensch, der so viel arbeitet, dass ich
selber nicht langsamer werde. Im Gegenteil.

   Sie haben einmal gesagt: "Kultur ist Teil einer
durchökonomisierten Gesellschaft, in der Erfolg lediglich unter dem
Gesichtspunkt der Quantifizierbarkeit und Vermarktbarkeit bewertet
wird. Die zur Alltäglichkeit gewordene Selbstausbeutung betrifft vor
allem innovative Orte, Initiativen, die mehr denn je um ihre Existenz
kämpfen." Sind Sie deshalb auf der Suche nach anderen Orten für den
steirischen herbst?

   Natürlich. Aus dem einfachen Grund, weil relevante
Kunstproduktionen von jungen Künstlern an ganz anderen Orten
stattfinden. Es ist halt so, dass sie Kunst dort machen, wo sie den
Raum und die Möglichkeit haben. In irgendwelchen Wohnungen oder
Garagen. Das heißt aber auch, dass sich Ästhetiken und künstlerische
Ausdrucksweisen an diesen Möglichkeiten reiben und entwickeln. Und
darunter leiden ja die großen Institutionen.

   Wie kann man damit umgehen?

   Die großen Institutionen versuchen dann, die Spitzen einer neuen
Generation einzukaufen. Vielfach sind das Institutionen, deren
Ästhetik gar nichts damit zu tun hat. Das kann aber nicht die Antwort
für den steirischen herbst sein.

   Haben Sie schon passende innovative Orte in Graz gefunden?

   Die Schwierigkeit ist, dass Graz sehr viele Veranstaltungsorte
hat. Was Graz aber nicht hat, ist diese ganz einfache
Blackbox-Situation - wie in größeren Theatern üblich -, also
ansteigende Zuschauertribüne und unten flach. Das aber stellte sich
bei unserer Suche als Problem heraus. Die Lösungen dafür sind uns
deshalb sehr viel schwerer gefallen, als wir ursprünglich angenommen
hatten.

   Können Sie schon eine Lösung andeuten?

   Ja, das Theater im Palais sowie der Dom im Berg werden zentrale
Spielstätten sein. Das Festivalzentrum wird im Künstlerhaus sein. Das
ist ein ganz guter zentraler Standort, den wir heuer ausprobieren.
Das heißt nicht, dass es jedes Jahr dort ist. Aber ich hoffe sehr,
dass das Künstlerhaus ein "anderer" Ort sein wird, wo sich Publikum,
Künstler, Presse, und internationale Gäste tagsüber und auch nachts
austauschen können.

   In Ihrem ersten Jahr wird es natürlich auch darum gehen, den
herbst neu zu positionieren. Welche Möglichkeiten sehen Sie dafür?

   Es muss eine Neupositionierung geben. Man muss mit einer gewissen
Frechheit die Aufgabe für sich neu erfinden. Blickt man in die
Vergangenheit, sieht man, dass in den bisherigen Intendanzen beim
herbst unterschiedlichste herausragende Positionen vertreten waren.
Das bedeutet viel weniger Kontinuität als etwa bei den Wiener
Festwochen. Dort herrscht das Prinzip, sechs Wochen lang die besten
künstlerischen Produktionen aus aller Welt zu zeigen. Der herbst muss
sich vielmehr die Frage stellen, wie man in einer extrem
übereventisierten Zeit künstlerischen Mehrwert schaffen kann, und
sich als multidisziplinäres zeitgenössisches Festival positionieren.

   Auch in Bezug zur Konkurrenz mit anderen Festivals?

   Die Frage ist, ob man das nur schafft, indem man die Spirale noch
mehr anheizt, mehr Geld braucht, alles größer und teurer macht. Oder
entwickelt man eine andere Strategie, mit der man das Programm
verdichtet, wie wir. Sie werden etwa sehen, dass die Wochenenden sehr
dicht - mit mehreren Vorstellungen - werden. Verdichtung bedeutet
auch da wieder, auf hohem Niveau herausragende künstlerische
Positionen vorzustellen.

   Wie wollen Sie das schaffen?

   Es geht um den Traum, in Graz ein gewisses Gefühl von
Ausnahmezustand zu schaffen. In dieser Zeit soll man Graz gar nicht
verlassen wollen, weil that's the place to be. Das muss man spüren.

   Setzen Sie wie Ihr Vorgänger verstärkt auf Kooperationen?

   Wir wollen weiterhin der Ort sowohl der Kreation als auch der
Kokreation mit anderen Partnern bleiben. Aber es bleibt die
grundsätzliche Haltung, dass der steirische herbst, wo auch immer es
ihm möglich ist, Neues und Genuines zum Entstehen bringt; auch mit
Partnern. Es ist ja auch wunderbar, wenn für den steirischen herbst
etwas produziert wird, was danach in New York, in Frankfurt oder in
Brüssel zu sehen ist. Das muss eigentlich der Impetus sein. Und ich
möchte zusätzlich die Theorieschiene durch unterschiedlichste Formate
stärken: geschlossene Formate und Workshops mit Öffnungen zum
Publikum, in denen österreichische mit internationalen Teilnehmern
gemeinsam etwas erarbeiten.

   Peter Oswalds Spezialformat war das Musiktheater. Was ist Ihres?

   Das Synergetische. Es geht eher darum zu schauen, was sind die
interessanten Diskurse im Moment in Kunst und Gesellschaft. Es wird
sicher auch die Vernetzung und die Berührung und den Dialog zwischen
den Künsten geben. Es werden Grauzonen entstehen, wo man gar nicht
mehr weiß, wo der Ursprung der jeweiligen Kunst ist. Interessant ist
es dann, wenn die Künste sich nicht im ewig gleichen Format an den
gleichen Orten darstellen. Was heißt das, in die Stadt zu gehen, was
heißt das auf dem Land, was sind mobile Projekte? Darüberhnaus wird
es sicher performativer. die Anzahl an Performances wird steigen

   Wir verstehen, dass Sie noch nichts Genaues zu den Inhalten und
Formen sagen wollen. Aber gibt es schon so etwas wie Fixstarter?
Tendieren Sie beispielsweise im Ausstellungsbereich eher zum
Kunsthaus oder zur Neuen Galerie?

   Ich habe mich dagegen entschieden - aus verschiedenen Gründen,
zeitlichen wie konzeptionellen -, eine eigene, große
Einzelausstellung zu machen. Ich habe viel gesehen, viele Gespräche
geführt und führe sie noch, um zu sehen wo das Potenzial der
vorhandenen Institutionen liegt. Ich komme von außen, ich habe keine
Geschichte mit denen, und das ist meistens ein Vorteil. Manche von
ihnen waren schon in den letzten Jahren am herbst beteiligt, aber die
Frage ist, wie man den anderen dazu animiert, etwas zu machen, was
ungewöhnlich ist. Man kann es mit diesem Festival schaffen, dass
verschiedenste Institutionen aus verschiedensten Bereichen sich mit
bestimmten Themen und Dingen beschäftigen. Das ist außergewöhnlich.
Da ist die Größe von Graz von Vorteil.

   Warum?

   In Graz kann man einmal etwas behaupten und somit Themen, die uns
unter den Nägeln brennen, vertiefend bearbeiten. Das kann Wien nicht.
Das kann man auch in Paris nicht haben. Das ist spannend. Dadurch
wird das Programm auch vielfältig. Dadurch wird es etwa eine Fülle
von Ausstellungen geben. Es gibt daher keine Zusammenarbeiten, die
nicht aus einem künstlerischen Nachdenken oder Gespräch heraus
entstanden sind. Das war von Anfang an ein Schwerpunkt, dass ich
einen Automatismus von Zusammenarbeit grundsätzlich infrage stellen
möchte.

   Nachdem Sie nun die "Szenen" beobachtet haben: Wo liegen die
spezifischen Qualitäten von Graz?

   Stark sind sie im Bereich Netz-Community sowie im Bereich der
elektroakustischen Musik. Da gibt es auch international einen guten
Ruf und entsprechende Netzwerke. Es gibt auch Institutionen, die mich
interessieren, wobei noch nicht klar ist, ob wir was gemeinsam
machen, wie die ESC (Netzkunstverein, Anm.), Rhizom (Künstlergruppe,
die sich mit soziokulturellen Aspekten des Kunstbetriebs beschäftigt)
oder Radio Helsinki. Alles Institutionen, die im Off der offiziellen
Wahrnehmung liegen, die mich aber mehr interessieren als andere, die
offiziell da sind. Da bin ich wie gesagt auch frei und möchte auch
andere Formen der Zusammenarbeit entwickeln. Es geht um eine
authentische Zusammenarbeit, egal mit wem. Da bin ich auch
promiskuitiv. Heuer gibt es diese Konstellationen, im nächsten Jahr
andere. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich vieles, was mir
vorgeschlagen wird, nicht so prickelnd finde. Ein interessantes
Grazphänomen besteht aus Selbstüberschätzung und
Minderwertigkeitskomplex. Das eine ist so wenig angebracht wie das
andere. Da fehlt mir ein wenig der Diskurs, der das ein wenig auf den
Boden bringt.

   Treten Institutionen der heimischen Szene an Sie heran, um sich
einen Platz im steirischen herbst zu sichern?

   Da gibt es enorme Begehrlichkeiten. Täglich landen zehn Projekte
auf meinem Tisch, die ich durchsehen soll. Der Druck ist wirklich
enorm. Ein Grazer Galerist erklärte mir einmal, dass der steirische
herbst das "internationale Schaufenster der steirischen Kultur" sei.
Das seh ich überhaupt nicht so. Viele Institutionen leisten saubere
Kulturarbeit, haben aber mit dem steirischen herbst nichts zu tun.
Aber die etablierten Sachen muss ich nicht fördern. Die sind ja da.
Diese Begehrlichkeiten interessieren mich nicht.

   Wie hoch ist das derzeitige Budget?

   Das Gesamtbudget liegt bei drei Millionen, davon trägt die
öffentliche Hand (Land, Stadt, Bund) cirka 2,5 Millionen Euro. Mit
dem Bund verhandeln wir noch und hoffen, dass dessen Haltung
unbeeinflusst vom Ausgang der steirischen Landtagswahl ist.

   Wie entscheidend für Sie war die gesellschaftsrechtliche
Neuregelung?

   Das war eine absolute Notwendigkeit. Als ich angetreten bin, war
ja nichts von dem am Horizont. Ich habe mich ja beworben mit dem
letzten Festival, das im Rahmen der Kulturhauptstadt 2003 stattfand.
Das Erwachen war ein übles. In den letzten Monaten haben wir
versucht, unser Team von der alten GmbH zu entkoppeln. Wir mussten
auch Juristen beschäftigen, die sich mit den dazugehörigen Fragen
auseinander setzen. Etwa, was passiert, wenn es von jemandem
Nachforderungen gibt.

   Es kursiert das Gerücht, dass Peter Oswalds Abfertigung aus Ihrem
Budget bezahlt hätte werden sollen. Was ist da Wahres dran?

   Das möchte ich nicht näher kommentieren. Solche Ideen gab es. Wir
haben das anders gelöst.

   Haben Sie eigentlich mit der List-Halle auch einen neuen Vertrag?

   Wir haben noch gar keinen Vertrag. Aber wir haben zwei
Veranstaltungen in der Halle programmiert und werden die Halle als
Spielort miteinbeziehen.

   Wird es die ursprünglich vertraglich geregelten sechzig Tage
steirischer herbst in der List-Halle nicht mehr geben?

   Das war eine Vereinbarung der "alten" steirischen herbst GmbH, die
mich nicht betrifft. Als Geschäftsführerin der neuen
SH-Kulturveranstaltungs GmbH bin ich zur kaufmännischen
Sorgfaltspflicht angehalten. Es wäre höchst seltsam, wenn man etwas
mieten würde, was man nicht verwendet. Ich möchte die Halle mieten,
wenn ich sie verwende.

   Steht der Titel für das heurige Festival schon fest?

   Ich bin dagegen, ein Thema auszurufen, dem sich alles unterordnen
muss. Das entspricht nicht dem Entstehen der Kunst. Es gibt aber ein
Leitmotiv, das von verschiedenen Seiten bearbeitet wird. "Kontrolle,
Gouvernementalität und Open Source". Kontrolle meint nicht die
Überwachungskameras, sondern das, was uns kontrolliert. In einer
Situation, wo sich der Staat immer mehr zurückzieht, wo die
Regulative und Dispositive der Macht immer die einer neoliberalen
Wirtschaft sind. Ich finde, dass der steirische herbst sich um Fragen
kümmern muss, die an der Schnittstelle von Kunst, Sozialem und
Lebensrealitäten liegen. Da brennt für mich die Kunst.


Petra Sieder und Franz Niegelhell