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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Falter - 20.09.2006
Lockere Kontrolle


FESTIVAL Der herbst ist tot - lang lebe der herbst: Im Zuge seiner habituellen Neuerfindung bricht das an Traditionen und Krisen reiche Festival in seinem 39. Jahr mit alten Ritualen und beschreitet lustvoll neue Wege. Als im Jahr 1967 die Trigon-Biennale in und um das Künstlerhaus am Rande des Grazer Stadtparks einzog, war die Welt noch in Ordnung. Eilfried Huth und Günther Domenig setzten mit ihrem futuristischen "Ausstellungstransformator" auf der Wiese vor dem Haus der steirischen Künstlerbünde ein radikales Zeichen der Zeitgenossenschaft. Und ernteten dafür öffentliche Erregung von derartigem Ausmaß, dass sogar Hanns Koren im Landtag zur Verteidigung der Ausstellung, die unter dem Motto "Ambiente/environment" lief, antreten und erklären musste, warum es sich nicht notwendigerweise um "oberflächlichen Modernismus" oder gar eine Störung des "gesunden Volksempfindens" handle, wenn "Kunst als Protokoll der Zeit" agiere.

1967 war das Probejahr für den steirischen herbst, der im Folgejahr gegründet werden sollte, und ein erster Vorgeschmack auf die "Schocks der Moderne", die das Festival in seinen goldenen Jahren den Steirern in regelmäßigen Abständen verpasste. Es war die Zeit, als sich Avantgarde - nach der Uraufführung eines Bauer-Stücks, nach einem Plakat von Karl Neubacher - noch an der Intensität der Empörung messen ließ, die sie im Land verursachte.

Wenn die neue Intendantin des Festivals, Veronica Kaup-Hasler, nun mit ihrem ersten herbst - das "Avantgardefestival" hat sich längst zum "Festival neuer Kunst" gewandelt - an diesen Ort zurückkehrt und das Künstlerhaus zum Zentrum ihres multidisziplinären "Festivals der Produktion und der Prozesse" macht, dann ist das einerseits als Referenz an die fast vierzigjährige Geschichte des herbst zu lesen. Andererseits - etwa in der Ausgestaltung des Ortes - aber auch als Zeichen für Eigensinn, als Willen, dem Festival einen eigenen Stempel aufzudrücken. Denn das "Ambiente", das der nordirische Künstler Stephen Craig im Haus verwirklicht hat, hat wenig mit den Utopien der Sechzigerjahre zu tun. Das Haus soll mit bunten Glühbirnen nach außen "Jahrmarkt" signalisieren - für Craig "eine Metapher für die Stadt allgemein" - und muss innen Kaup-Haslers Anspruch einer "Verdichtung, Intensivierung, Mobilisierung" zu einem "Ausnahmezustand" während des Festivals genügen.

Der in warmen Rot-, Gelb-und Orange-Tönen gehaltene Raum wird dabei als Bühne dienen, zum Beispiel für ein Konzert samt Lesung von Peterlicht (siehe Interview Seite 10). Die Projekte von "open-gates" haben hier ihre Spielstätte, die fünf Wohnwagen der Campshow werden nach ihren Ausritten ins Steirerland immer wieder vor dem Künstlerhaus andocken, das außerdem als Info-und Ticketcenter aber auch als Bar funktionieren muss, an der sich die gut tausend Mitwirkenden des Festivals mit dem Publikum mischen können. Für die "Festivaldramaturgin" Kaup-Hasler ein Ort, an dem sich das Gelingen des Festivals entscheidet: "Das Spiel war gut", sagt die 1968 in Dresden geborene Wienerin, die zuletzt bei den Festwochen und danach beim Festival Theaterformen in Hannover gearbeitet hatte, "wenn das Festivalzentrum in dieser Form angenommen wird und temporär wirklich ein anderer Ort in der Stadt geschaffen wird."

Dabei ist das Spiel kein einfaches. Der herbst hat im letzten Jahr die tiefste institutionelle Krise seit seiner Gründung durchlebt. Die in der Intendanz von Peter Oswald im Kulturhauptstadtjahr 2003 eröffnete aufwendige List-Halle, an die sich der herbst gekettet hatte, und die begleitenden medialen Polemiken haben die Zukunft des Festivals ernsthaft bedroht. Oswald, der bei seinem Antritt im Jahr 2000 verkündet hatte, die Stadt müsse brennen, hat - von der Politik im Stich gelassen - neben der Erinnerung an großes Musiktheater auch ein ausgebranntes Festival zurückgelassen. Erst durch die Neugründung in eine GmbH, durch die Ausgliederung der teuren Halle, die Schuldenübernahme durch Stadt und Land und den Abschluss einer vierjährigen Finanzierungsvereinbarung wurde der Weg frei für eine Neuerfindung. Mit einem Gesamtbudget von drei Millionen Euro und damit deutlich weniger als unter Oswald, der im Ausnahmejahr 2003 noch über 5,5 Millionen verfügte: "Wir sind jetzt wieder dort, wo Christine Frisinghelli 1999 aufgehört hat. Aber die Zeit ist vorangeschritten, die Dinge sind teurer geworden. De facto wurde der steirische herbst um viele Jahre zurückgeworfen", sagt Kaup-Hasler, die gleichzeitig würdigt, dass die Politik die Neugründung unterstützt hat. Außerdem gebe es "gute Signale vom Land", das Festival in Zukunft stärker zu fördern.

Wirklich gehemmt hat das reduzierte Budget die quirlige Intendantin, deren Energielevel und gute Laune sich mit zunehmendem Stress noch zu steigern scheinen, bei der Programmierung allerdings nicht. Gemeinsam mit ihrem Dramaturgen Florian Malzacher ist es ihr gelungen, dem herbst ein stringentes neues Design zu verpassen, das Festival zu entkrampfen, durch eine Verdichtung auf drei Wochen zu beschleunigen und eine eigenständige Interpretation dessen zu entwickeln, was den herbst immer schon ausmacht - Zeitgenossenschaft, Produktion, die Einbindung der lokalen Kunstszene, Internationalität. Dabei wurde auch Ballast abgeworfen: Die ursprünglich auch für den herbst gebaute List-Halle - sechzig Tage sollte sie genutzt werden - wird außer zur Eröffnung nur an vier Tagen, und zwar vom Musikprotokoll, bespielt. "Die Halle, so wie sie jetzt ist, ist für Theater nicht brauchbar", weiß Kaup-Hasler, die den herbst damit wieder zu dem vagabundierenden Festival macht, das es von Anfang an war. Neben dem Künstlerhaus werden dafür auch das Theater im Palais und der Dom im Berg einbezogen.

Noch ein Einschnitt: Die Kooperation mit der lokalen Szene hat Kaup-Hasler auf ausgewählte Institutionen reduziert, der Galerientag in seiner bunten Beliebigkeit ist damit Vergangenheit. Was der heurige herbst damit sicher nicht sein wird, ist eine zwanghafte Leistungsschau der heimischen Szene. Auch das stand ja in Zeiten der Krise zur Diskussion. "Das ist kein Festival", sagt Kaup-Hasler, "dafür könnte man auch einen Disponenten vom Tourismusverband bestellen." Camera Austria, Forum Stadtpark, Medienturm, HDA oder Pavelhaus sind heuer "drin", die Galerien, aber auch große Häuser wie die Oper weitgehend draußen. "Es gibt diesen Automatismus nicht mehr. Auch wir haben kein Abo auf Teilnahme", sagt Kunstverein-Leiter Soeren Grammel, der heuer mit "traurig sicher, im Training" im Palais Thienfeld eine der zentralen Ausstellungen zu einem der herbst-Leitmotive "Kontrolle" kuratiert. Für Grammel ein klare "Autorenposition" der Intendanz, die auch die Sichtbarkeit erhöhe. Dafür werden die Projekte stärker als früher kollaborativ entwickelt.

Und schließlich hat Kaup-Hasler ihrem herbst ein Generalthema verweigert. Während Horst Gerhard Haberl seine Intendanz noch mit einer "Nomadologie der Neunziger" überschrieb, Christine Frisinghelli Themen wie "Remix" als diskursives Rückgrat wählte und der manische Kunstproduzent Oswald zuletzt immer auch identitäre Phänomene umkreiste - von radikaler Subjektivität bis zur Krise -, so hat sich Kaup-Hasler auch in dieser Hinsicht für einen neuen Weg entschieden. "Alles zu restriktive, fundamentalistische und stalinistische Kunstdenken ist mir fremd", sagt Kaup-Hasler und hat stattdessen vier Leitmotive -  "Kontrolle", "Kollaboration", "Teilhabe" und "Open Source" - gewählt, zentrale Begriffe aus den Diskursen der letzten Dekade. "Spannend ist, welche Mechanismen uns kontrollieren, wie wir uns selbst kontrollieren in einer Zeit, in der sich der Staat immer mehr aus der Verantwortung zurückzieht und uns das als Zugewinn von Freiheit verkaufen möchte. Es geht ums Überleben."

Formal beschreiben diese Motive, was wieder verstärkt in der Luft liegt: eine performative Wende, die nicht das fertige Produkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, sondern Kunst als offenes Handlungsgefüge begreift. Insofern wird der Anspruch, Zeitgenössisches zu zeigen, so wörtlich wie möglich gestellt: Der steirische herbst will eigentlich keine Kunstprodukte, sondern Produktionsprozesse sichtbar und erfahrbar machen. Theatralität wird zur neuen Leitdisziplin. Und aktuelle Kunst setzt sich damit als Erbe einer Entwicklung ein, die in den Sechzigerjahren in Happening, Fluxus und Wiener Aktionismus ihren Ausgang nahm. Einzelne Projekte sind in Aussicht gestellt, die gar nicht mehr in vordefinierte Sparten passen oder gleichzeitig in mehrere - im Programmheft mit Prozentzahlen abgestempelt - wie das Fortellerorkesteret der norwegischen Künstlergruppe Verdensteatret, das als "Concert for Greenland" und also Klanginstallation ebenso funktioniert wie als computergesteuerte Skulptur aus primitiver Holzkonstruktion, Video, Licht und Schatten. Das Programm vermerkt: "33% Installation, 33% Theater, 33% Musik").

Mit "Kontrolle" hat das nur am Rande zu tun. Und so streng will Kaup-Hasler die Programmatik auch nicht verstanden wissen: "Natürlich könnte man einen Bezug zum Thema konstruieren, da fiele mir schon etwas ein. Aber es wäre Unsinn. Es ist einfach eine wunderbare Arbeit, die man gesehen haben muss." Einige Projekte wie Richard Maxwells minimalistische Analyse einer Sicherheitsfirma "The End of Reality" oder Fritz Katers Psychogramm der Mitarbeiter eines Biotech-Unternehmens knüpfen dafür wieder stärker an die inhaltliche Dimension der Leitmotive an.

Auch in den Ausstellungskontexten soll die letztlich nicht mehr so neue Performativität voll durchschlagen. Von bewährten Formaten wird bewusst abgerückt. Das Kunsthaus Graz hat man vorsorglich hinter dem Anagramm "Gutshaus Kranz" versteckt. Der Untertitel des Beitrags "Protections" stellt klar, dass diese Ausstellung gar "keine Ausstellung" ist. Mehr so etwas wie eine Spielwiese. Zum Abschluss gebrachte Kunstfertigkeit wird in ihr bestenfalls ironisch zitiert: Drei von Michael Elmgreen und Ingar Dragset in den Bauch des Kunsthauses gebaute Fertigteilhäuser dienen als Bühnen für interaktiven Austausch darüber, wie man beschützt sein könnte. Dazwischen füllen Live-und Soundperformances die toten Winkel aus. Ein dichtes Rahmenprogramm sorgt für zusätzliche Belebung, erweitert die Ausstellung, die dann doch eine ebensolche ist, von Woche zu Woche, um weitere Installationen, Workshops und Künstlerführungen. Es geht weniger darum, die Unwägbarkeiten des modernen Lebens, das Sicherheits-und Kontrollbedürfnis einfach abzubilden, sondern selbst nachzustellen, ein Experimentierfeld für das Leben anzubieten. "Die Kunst kann ein Proberaum für das Leben oder ein Simulationsraum sein, wo Gefahrensituationen gefahrlos durchlaufen werden können", rückt der Kurator Adam Budak von den einstigen Forderungen der Avantgarde ein Stück ab. An sein Tun und das seiner Co-Kuratorin Christine Peters stellt das ganz neue Ansprüche. Er geht davon aus, die ganze Zeit der Ausstellung über präsent sein zu müssen, um die ablaufenden Prozesse zu koordinieren. Überhaupt lebt das Geschehen nicht zuletzt auch von seiner Kreativität. Stolz ist er auf seine Idee, die Sicherheitsmannschaft des Kunsthauses erbauliche Lieder singen zu lassen.

Die Leitmotive sind sogar dem Entstehungsprozess des Festivals  ist eingeschrieben, der damit an sich zum Programm wird. Am Anfang der Produktion stand ein eineinhalbseitiger Essay, verfasst von Florian Malzacher und der Zürcher Philosophin Gesa Ziemer, der den grundsätzlichen inhaltlichen Rahmen abgesteckt hat. Darauf folgten lange Gespräche mit den ausgewählten Institutionen. "Bei informellen Abendessen, im Café, beim Fußballschauen", erinnert sich Soeren Grammel vom Grazer Kunstverein. "Eher auktorial als open source" sei der Prozess angelegt, durchaus im Sinn sinnvoller "sanfter Kontrolle", sagt Grammel, der dem "Manierismus des Prozessualen" eines in Workshops und Meetings aufgelösten Kunstbegriffs sonst durchaus skeptisch gegenübersteht.

Überraschungen sind bei dieser Vorgangsweise jedenfalls Teil des Konzepts. Dass etwa das Forum Stadtpark an den Beginn von "No Space is Innocent", einer überaus konsequenten Verwirklichung der thematischen wie formalen Grundgedanken des diesjährigen Festivals, einen vierstündigen Trauermarsch der Sad Block Brass Band durch die Grazer Innenstadt stellen wird, war Kaup-Hasler zum Zeitpunkt des Gesprächs unbekannt. Auch der Ausgang der "Intermediate Spaces" in der ESC ist eher ungewiss. Neun Künstler aus Graz und neun aus Ljubljana haben Reni Hofmüller und Borut Savski geladen. Die sollen hier vergangene Projekte präsentieren, abends ihre Arbeiten in Werkstattgesprächen erklären und womöglich gemeinsam Neues entwickeln. Das alles ohne strikte Vorgabe oder Zielvorstellung. Hofmüller will nicht als Kuratorin tituliert werden. Sie will sich einfach darum kümmern, dass es den Künstlern nicht an Technik oder Atmosphäre mangelt. Und ist auf einen denkbar ungewissen Ausgang eingestellt: "Es kann schon sein, dass es die Künstler den ganzen Tag am Schloßberg meditieren."


Es ist kein einfaches Spielfeld, das Veronica Kaup-Hasler für den Neustart des steirischen herbst abgesteckt hat. Es ist ein Spiel, das zwischen offenem Prozess und vermarktbarem Produkt balancieren muss, zwischen zeitgenössischer Kunst-und Wissensproduktion und festlichem Event. All das muss man allerdings nicht wissen, um Spaß am Festivalspiel in all seinen unterschiedlichen Ausformungen zu haben. "Es ist ein Spiel ohne Verlierer. Es soll ein spielerisches Herumtollen ermöglichen, wie das eines jungen Hundes, ein sich Aufhalten in bestimmten Momenten, und dann wieder ein Weitergehen", sagt die Intendantin. Im besten Fall, wenn das Spiel gelingt, schafft es einen Ausnahmezustand, der "zu einem veränderten Blick, einer sensibilisierten Wahrnehmung, zu einem differenzierten Denken führt, in einer Zeit, in der alles nach einfachen Antworten schreit". Hat der "Ausstellungstransformator" damals, vor fast vierzig Jahren, etwas anderes gewollt?
Ulrich Tragatschnig Und Thomas Wolkinger