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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Frankfurter Rundschau - 26.09.2006
Das A-Wort
Lieber Freiheit als Kunst: Das Eröffnungswochenende des "steirischen herbst" in Graz

Noch bevor an diesem strahlend-blauen Nachmittag die zwei Meter große Transsexuelle aus dem fernen Kalifornien ihren Auftritt hat, ist erst einmal die Kleinfamilie aus England dran. Sie fährt in einem dieser überlangen Wohnwagen auf die Rampe mitten im Grazer Stadtpark, über der Tür hängt ein Bund Maiglöckchen, darunter die Aufschrift "Buckingham Palace". Die Hundertschaft an Schaulustigen johlt, und das lustige Huhn oben am Baum krächzt: "Lieber Freiheit und Ruhe am Baum als öffentliche Kunst im Raum."

Um letzteres geht es hier aber. Fünf aktionistische Wohnwagen verschickt der steirische herbst unter großer Publikumsbeteiligung an diesem Eröffnungswochenende ins Grazer Umland, jeder von einer Künstlergruppe bespielt. Für die nächsten Wochen wird die "Camp-Show" durch die Steiermark ziehen, wird Grünpflanzen züchten, Sternenshows veranstalten oder ein Wasserballett veranstalten - und natürlich kräftig für den steirischen herbst in der Landeshauptstadt die Werbetrommel rühren. Das hat das vierwöchige Festival auch nötig - gerade in seinem neununddreißigsten Jahr.

Mit einer neuen Intendantin an der Spitze ist es nämlich wieder einmal auf der Suche nach seiner ganz eigenen und möglichst nicht mit der von zig anderen europäischen Festivals verwechselbaren Identität - einer, die das A-Wort nicht ganz über Bord wirft, aber auch nicht zu sehr strapaziert. Selbst den Gründervätern des einstigen Avantgardefestivals wäre das wohl heute peinlich.

Das Wort von der Avantgarde wird man im Programmheft vergeblich suchen, hier spricht Veronica Kaup-Hasler lieber von einer "Plattform aktueller, avancierter und manchmal nicht ganz einfach zu verstehender Kunst". Diese hat Kaup-Hasler zuletzt auch beim Festival Theaterformen in Hannover und Braunschweig programmiert, in Graz geht sie gemeinsam mit ihrem Dramaturgen Florian Malzacher einen ähnlichen, wenn auch breiteren Weg. Denn das Theater ist hier nur ein Baustein von vielen.

Auch wenn es - zumindest am Eröffnungswochenende die Hauptrolle spielt. Das ist in erster Linie Regisseur Armin Petras und seinem Alter Ego, dem Autor Fritz Kater zu verdanken. Tanzen! nennt sich der Abend, der eigentlich gar nicht das Zeug zur Eröffnung eines Festivals in der Dimension des steirischen herbstes hat. Ein Drei-Mann-Stück auf kleinstem Raum, 75 Minuten lang. Eine "Industrial Soap Opera" über die Frechheiten neoliberaler Konzerne, die Feinsinnigkeiten fieser Angestellter und natürlich die Unverschämtheit des männlichen Durchsetzungswillens.

Bernie, Inga und Sandra heißt das Humankapital in diesem Stück, das bezeichnenderweise in einer Biotechfirma dem eigenen und fremden Terror ausgesetzt ist. Bernie und Sandra hat das schon ziemlich mürbe gemacht, der eine hat den Kontrollwahn inkorporiert und vertritt ihn in der Gestalt von Peter Moltzen mit hochrotem Kopf, die andere (die wunderbar verhaspelte Yvon Jansen) ist hinter ihrer dicken Brille und auch noch nach sechs Dienstjahren auf Tauchstation. Bis die frische und sportiv-junge Sandra (Nicolette Krebitz) auftaucht und den Laden durcheinanderbringt.

Kältekammer und Durchlauferhitzer
So weit, so problemorientiert. Mit Problemlösungen wartet dieser schnelle, gewitzte Abend nicht auf, das wollen Armin Petras und Fritz Kater auch nicht. Sie schicken die drei Figuren wahlweise in die Kältekammer oder den Durchlauferhitzer, ganz bei sich sind sie jedenfalls nie. Können sie auch nicht, denn die ökonomischen Verhältnisse, denen sie unter den vielen Überwachungskameras ausgeliefert sind, die Susanne Schuboth in das Theater im Palais gebaut hat, sind nun einmal nicht danach.

Apropos Überwachungskameras: Sie könnten das Sinnbild des heurigen steirischen herbst sein, dem seine Macher zwar kein Thema, dafür aber mehrere lockere Leitmotive wie Kontrolle, Kollaboration oder offene Quellen verpasst haben. Das klingt theoretisch herausfordernd, und das ist es in der breiten Theorieschiene, die in den nächsten Wochen anlaufen wird, wohl auch. In der Praxis gestaltet sich der herbst - zumindest in den ersten Tagen - aber so lebensprall und sinnlich wie schon seit Jahren nicht mehr. Und das trotz der vielen Überwachungskameras. Da gestaltet die norwegische Künstlergruppe Verdensteatret ein Concert for Greenland, das sich als wunderbar assoziative Expedition in die eigene Wahrnehmung entpuppt, da treten die britischen Live-Art-Künstler Gary Winters & Gregg Whelan (Lone Twin) auf und singt Feuilletonliebling PeterLicht mit schrägen Kapitalismus-Liedern in eine gute Nacht.

Die Augen reibt man sich dann allerdings anderntags. Das Kunsthaus Graz, diese große bläuliche Architekturblase, die in dem schmucken Städtchen eh schon so fremd anmutet, heißt plötzlich Gutshaus Kranz, die Ausstellung, die darin zu sehen ist, nennt sich im Untertitel "keine Ausstellung" und auch der Titel Protection hilft einem in seiner Orientierungslosigkeit kaum weiter. Mit ihrem performativen Ansatz haben sich die Festivalmacher und die Kuratoren Adam Budak und Christine Peters weit vorgewagt. Zu Festivalbeginn ist die (Nicht)-Ausstellung noch nicht fertig, jeden Montag kommt eine Künstlerposition dazu, die selbst die Macher nicht immer kennen. Einsatzbereit ist zumindest schon mal die hauseigene Wachmannschaft. Mit ihr hat Tim Etchells von Forced Entertainment Songs der Beatles, der Einstürzenden Neubauten oder die DDR-Hymne einstudiert. Daneben schmiedet der mazedonische Künstler Dejan Spasovik Amulette, in einem der Fertigteilhäuser im Obergeschoss sendet Radio Helsinki, in den Räumen der Künstlerin Elisabeth Penker kriegt man einen Crashkurs in angewandtem Kolonialismus.

Wem damit nicht geholfen ist, der darf im zur Ausstellungsreader (statt eines Katalogs) nachlesen, wie diese Ausstellung "zu denken" sei. Über die einzelnen Kunstpositionen erfährt man darin nichts. Soll man wohl auch nicht, schließlich verfügt man - wenn man die Macher richtig verstanden hat - ja über einen eigenen Kopf und eigene Augen. Ihnen sollte man beim heurigen steirischen herbst jedenfalls besonders vertrauen - und die Eindrücke nötigenfalls durch mehrmalige Besuche kontrollieren.

"Tanzen!" ab Oktober im Maxim Gorki Theater, Berlin. www.steirischerherbst.at