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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
die Presse - 25.09.2006
Jetset-Müll
Ausstellungen. Wo man sich in Graz sicher fühlen darf.

Hände am Rücken verschränken. Schlendern, unauffällig. Der Blick nicht suchend, aber streng. Verhaltensmuster, die sich die junge Künstlerin Anna Witt, derzeit noch an der Wiener Akademie studierend, vor laufender Kamera von Wachleuten am Westbahnhof erklären ließ. In einem zweiten Video sieht man sie in Security-Uniform Passanten abtasten - und sich im Gegenzug, sehr nett, ebenfalls von ihnen kontrollieren lassen. Teil drei zeigt Witt dann in ähnlicher Montur am Flughafen die Runden drehen. Plötzlich, völlig unerwartet, schlägt sie ein Rad, kommt auf - und wirft sich wie im TV-Krimi in Pose, Zeigefinger zur Pistole geformt, mit verwegenem Blick raus aus dem Bildschirm.

Und da draußen stehen wir, mitten in einer Gruppenausstellung im Grazer Palais Thienfeld und können uns ganz ganz sicher fühlen. Denn diesmal gibt's ein strenges Programm hier beim "Steirischen Herbst", "Kontrolle, Kollaboration und Open Sources", das sich durch die übergreifenden Künste zieht. Wer da nicht mit wollte, musste draußen bleiben aus Intendantin Veronika Kaup-Haslers Veranstaltungs-Folder. Und das ist gut so.

Wie zum Trost dafür zog am Samstag die "sad block brass band" durch die Murstadt, herzzerreißend eine "Totenklage" vor sich hin sudernd für alle "verlorenen und gescheiterten Utopien, Projekte und Wünsche". Ihr Ziel, sehr symptomatisch für die erschöpfte Grazer Avantgarde: das "Forum Stadtpark", wo gerade behauptet wird "Kein Raum ist unschuldig!". Was am konkretesten auf die Grenze Israel/Palästina zutrifft, Eytan Heller zeigt das Video eines absurden Tennismatches, zertrennt von der Mauer.

Nächster Kontrollpunkt, Grazer Medienturm, "Further Processing. Generative Kunst, offene Systeme": Neben sehr viel sehr Formalem und sehr Selbstbezüglichem zeichnet hier Martin Wattenberg mit bunten Linien nach, wie Schachcomputer "denken". Da spielen wir doch gerne mit.

Keine Sicherheit vor Verslummung
Der Spaß vergeht einem dann ein bisschen sehr heftig im Hof der Neuen Galerie, wo der deutsche Aktions-Künstler HA Schult auf Einladung Peter Weibels seine Müllmenschen-Armee habt acht stehen lässt. 100 "Trash People" aus dem Abfall der Konsumwelt heben den Zeigefinger so drohend wie penetrant. Das taten diese jetsettenden Müllmänner schon vor den Pyramiden von Gizeh, der Chinesischen Mauer und auf dem Roten Platz. Und sie werden in den nächsten drei Wochen wohl zur beliebtesten Grazer Touristen-Foto-Kulisse mutieren.

Trotzdem bilden sie das nötige schreiende Aushängeschild für ein Thema, das unsere Gesellschaft - wie übrigens auch die aktuelle Architektur Biennale Venedig - an ihre Grenzen führt, nämlich die zunehmende Verslumung. Die kleine Ausstellung im Hof mit ein paar feinen Videos dient da nur als sparsames Beiwerk eines reichen Vortragsprogramms, da muss man also durch. Kollaborieren dringend angeraten.

Almuth Spiegler