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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
der Standard - 14.10.2006
Der steirische herbst: Rodung statt Ernte Die schleichende Wandlung eines Avantgarde-Festivals
Zum rituellen Kanon eines jeden Festivals zählt die zu dessen Finale der Öffentlichkeit vorgelegte positive Bilanz.

Satte Besucherzahlen, heuer 45.000 bei 280 Veranstaltungen mit durchschnittlich 95- prozentiger Auslastung, machen sich da immer gut. Ist doch vor allem die breite öffentliche Kenntnisnahme auch für den fördernden Politiker eine beinahe unverzichtbare Legitimation für bewilligte Subventionen.

Dies sogar dann noch, wenn es sich - wie heuer im Fall des sterischen herbstes - im Grunde um ein beschämendes Hungerbudget von alles in allem knapp 2,7 Millionen Euro handelt.

Derlei einfache und, weil sie so nahe liegen, grundsätzlich auch verständliche Sichtweisen verstellen freilich den Blick auf eine sich schon seit mehreren Jahrzehnten schleichend vollziehende tief greifende Wesensveränderung des steirischen herbstes: Innerhalb der 40 Jahre, die es dieses Festival der Moderne gibt, hat es seinen ursprünglichen Charakter einer regional definierten und der Internationalität offenen Kunsternte zur alljährlich - mit durchaus triftigen Gründen - versuchten Aussaat, wenn nicht gar zur kolonisierenden Rodung gewandelt.
In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass es den steirischen herbst schon gab, bevor man sich vor vier Jahrzehnten an seine Gründung machte. Als Hanns Koren, der geniale steirische Kulturpolitiker, dessen 100.Geburtstages heuer verräterisch unauffällig gedacht wurde, beschloss, ab dem Jahr 1968 die mit anhaltender Glanzlosigkeit dahinsiechenden Grazer Sommerspiele in der schönsten Jahreszeit des Landes durch ein Festival der Moderne abzulösen, brauchte er gar nichts anderes zu tun, als schon bestehende Veranstaltungsreihen zum steirischen herbst zu bündeln.
Dabei handelte es sich zunächst um die alljährlich stattfindende Steirische Akademie, ein mehrtätiger kunst- und geisteswissenschaftlicher Kongress, bei dem Theodor W. Adorno lange vor dem europäischen Schicksalsjahr 1968 zu den dominierenden Stammgästen zählte.
Als spektakuläre, damals im Zweijahresrhythmus organisierte Manifestation der bildenden Kunst fungierte die Trigon-Austellung längst vor Gründung des steirischen herbstes als heftiger Aufreger, der für internationales Aufsehen sorgte.
Im ebenfalls in den damals neu geschaffenen steirischen herbst integrierten, vom Forum Stadtpark veranstalteten Literatursymposion mit Alfred Kolleritsch, Wolfgang Bauer, Gunter Falk und Peter Handke erwachte Graz schon damals zur heimlichen Hauptstadt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Freilich wäre die Trauer um all diese Veranstaltungsreihen, die es in dieser Form nun mit und ohne steirischen herbst nicht mehr gibt, nichts anderes als falsche Nostalgie, die sich mental ja stets gegen alle Veränderungen stemmt.
Denn dass bloßes Weitermachen unter dem gleichen Namen auch kein Allheilmittel ist, wird durch das synchron mit der herbst-Gründung als Programmbeitrag des ORF ins Leben gerufene musikprotokoll bewiesen. Seit der aus Ersparnisgründen erfolgten Verlagerung seines Programmzentrums vom Studio Steiermark in die Wiener Zentrale scheint trotz anhaltender Attraktivität des internationale Informiertheit verströmenden Programms die Nabelschnur zur heimischen Szene gekappt.
Für die amtierenden Kulturpolitiker besonders bedenklich ist jedoch die Tatsache, dass sich diese Feststellung mit der simplen Frage - wo ist sie denn, die steirische Szene? - nur allzu wirksam parieren lässt.
Man muss nämlich schon etwas weiter zurückblicken, um zur bedauerlichen Diagnose zu kommen, dass die Stadt Graz und mit ihr wohl auch die Steiermark an natürlichem Moderne-Potenzial, über das sie einst verfügte, sehr stark verloren hat.
Es ist dem kollektiven Gedächtnis längst entfallen, dass Graz durch Friedrich von Hausegger (1837-1899) zum Mekka der spätromantischen Musiktheorie wurde. Oder dass sich Ferruccio Busoni 1878 in Graz niederließ, um beim damals euoropaweit berühmten Theorielehrer Wilhelm Meyer zu studieren. Ebenso wie Gustav Mahler 1905 in Graz anlässlich eines Musikfestes seine Kindertotenlieder zur Uraufführung brachte. Ein Jahr später dirigierte Richard Strauss in Anwesenheit der europäischen Musikprominenz die Erstaufführung der Salome.
Im gleichen Jahr trat Joseph Marx in seiner Heimatsstadt Graz erstmals mit seinen Liedern an die Öffentlichkeit, mit denen er schlagartig zur internationalen Berühmtheit wurde.
Alle diese Personen und alle genannten Ereignisse, deren Reihe sich noch erheblich verlängern ließe, wären im Programm des s teirischen herbstes, hätte es ihn damals schon gegeben, zweifellos nicht nur sehr gut aufgehoben gewesen, sie hätten ihn auch wesentlich bereichert.
Die steirische und die Grazer Kulturpolitik sollten daher nicht nur endlich den steirischen herbst mit einem ausreichenden Budget versorgen, sondern vor allem auch trachten, dass die Szene wieder herbst-reif wird.
Denn ein Festival, dass nur in der Steiermark stattfindet und nicht aus dieser kommt, wird allzu leicht austausch- und in der Folge gar verzichtbar.

Peter Vujica