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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Falter - 27.09.2006
Wir winken zurück
THEATER Das fängt ja gut an: Es ist zwar nicht alles Theater, was bei diesem herbst unter Theater läuft. Aber was Theater ist, macht viel Spaß.

Eine alte Regel besagt, dass sich die Menschheit in zwei Gruppen einteilen lässt: Die einen mögen Buster Keaton lieber, die anderen Charlie Chaplin. Bernie ist bekennender Keaton-Fan, aber von der unerschütterlichen Stoik seines Idols hat er nichts an sich. Bernie arbeitet als "Supervisor" in einer Biotech-Firma, und eigentlich ist er schon zu alt, um Bernie zu heißen. Er ist vermutlich auch schon zu alt, um es noch in die Chefetage zu schaffen, was wiederum seine
Chancen bei attraktiven jungen Frauen, die noch was werden wollen, deutlich verringert. Kurz: Bernie ist ein Loser. Aber weil er das nicht weiß, ist das Stück, in dem er spielt, eine Komödie.

Genauer gesagt, ist es eine "Industrial Soap Opera", die da als erste Theaterpremiere des steirischen herbstes im Theater im Palais uraufgeführt wurde. "Tanzen!" ist eine Kapitalismuskomödie im Format einer Büroserie: gute Typen, brutale Gangart, trockene Pointen. Der überforderte Bernie hat es mit zwei Mitarbeiterinnen zu tun, denen er beiden nicht gewachsen ist: Vergeblich versucht er, die graue Büromaus Inga dazu zu bringen, für den (wahrscheinlichen) Fall der Kündigung auf alle Ansprüche zu verzichten; und Girlie Sandra interessiert sich nur so lange für den seltsamen Typen, bis sie durchschaut hat, dass er gar kein Chef ist.

Geschrieben hat das Stück der Dramatiker Fritz Kater, inszeniert hat es der Regisseur Armin Petras. Beide zusammen sind eine der interessantesten Figuren des zeitgenössischen deutschen Theaters: Der in der DDR aufgewachsene Petras gehört zu den profiliertesten Regisseuren der Gegenwart; unter dem Pseudonym Fritz Kater ist er seit 1990 auch als Dramatiker tätig. Autor Kater schreibt wie Heiner Müller auf Ecstasy: ähnliche Sprache, aber mehr Tempo und weniger Pathos. Regisseur Petras wiederum hält nicht nur bei Klassikern, sondern auch bei seinen eigenen Texten wenig von "Werktreue"; er arbeitet mit betont einfachen Bühneneffekten und lässt seinen Schauspielern viel Spielraum. Das ungeschriebene Theatergesetz, nach dem Autoren ihre eigenen Stücke lieber nicht selbst inszenieren sollten, wird von Petras/Kater regelmäßig außer Kraft gesetzt: Petras ist immer dann am besten, wenn er Kater inszeniert, und umgekehrt.

Der 44-jährige Workaholic, der zuletzt unter anderem am Schauspiel Frankfurt und am Hamburger Thalia Theater arbeitete, übernimmt in dieser Spielzeit die Intendanz des Berliner Maxim Gorki Theater; "Tanzen!" ist eine der Eröffnungsproduktionen. Das neue Kater-Stück ist straighter als frühere Werke des Autors; Regisseur Petras hat den Text nochmals gestrafft, nach einer guten Stunde ist die Uraufführung gelaufen. Die Bühne ist ein Laufsteg im Zentrum des kleinen Raumes; die zum Festivalthema "Kontrolle" passenden Überwachungskameras hat Bühnenbildnerin Susanne Schuboth aus Karton gebastelt. In dieser schlichten Arena sind drei Schauspieler auf Hochtouren zu erleben: Peter Moltzen (Bernie) als tollpatschiger Choleriker mit dicken Brillen, der vor unterdrückten Leidenschaften schier zu platzen scheint, Yvon Jansen (Inga) als Mauerblümchen mit gigantischem Achselhaarwuchs und erstaunlichem Widerstandspotenzial sowie die aus Film und Fernsehen bekannte Nicolette Krebitz (Sandra) als brutal naives Karriereluder.

Die Aufführung hat ein hohes Energielevel und ist lustig wie eine gute TV-Soap, trotzdem handelt es sich eindeutig um einen Theaterabend. Wenn zum Beispiel Sandra gierig Bananen in sich hineinstopft, weil ihr Bernie eingeredet hat, diese würden wie der "Schwanz vom Chef" schmecken, dann ist das Situationskomik, wie man sie nur auf der Bühne erzielen kann. Offen bleibt nur die Frage, warum in der Premiere so wenig gelacht wurde.

Dass die neue herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler vom Theater kommt, merkt man dem Programm an. So viel Theater gab's hier wahrscheinlich noch nie. Weil der herbst aber kein Theaterfestival ist, hat Kaup-Hasler radikal "spartenübergreifend" programmiert. Das hat zur Folge, dass auf manchen Produktionen Theater draufsteht, in denen gar keines stattfindet. Das vom norwegischen Künstlerkollektiv Verdensteatret im Dom im Berg aufgeführte "Concert für Greenland" etwa ist ein echter Grenzfall. Die Bühne ist eine Installation mit bizarr-archaischen Figuren und Objekten, die aus Knochen und Holz (Treibgut aus Grönland?) gebaut sind und mit moderner Technologie bewegt werden. Was die Akteure vor sich hin murmeln, versteht man nicht; sie stellen nichts dar, dafür erzeugen sie laute, elektronisch verfremdete Klänge. Handlung gibt es keine, nur Videos von Eisbergen und die Schatten, die von den Objekten an die Wand geworfen werden. Laut Programmheft enthält die Produktion "33% Installation, 33% Musik, 33% Theater". Darüber kann man streiten. Und was ist eigentlich mit dem Prozent, das übrigbleibt?

"100% Performance" werden für die letzte Theaterpremiere des ersten herbst-Wochenendes angekündigt. Im Theater am Ortweinplatz zeigt das britische Duo Lone Twin seine Produktion "Nine Years", ein Auftragswerk des herbstes. In einem nüchternen Setting (ein Tisch, eine Leinwand, ein paar Notenständer mit Textbüchern) erzählen Gary Winters und Gregg Whelan in einem Videovortrag von einer neunjährigen Reise, die sie per Fahrrad rund um die Welt geführt hat (einer hat noch seine Radlerkluft an). Da der Abend nur eine Stunde dauert, fällt der Bericht notgedrungen eher kursorisch aus; was die beiden sympathischen Herren zwischen Brüssel und Philadelphia, der Schweiz und Australien erlebt haben, ist alles andere als spektakulär. In den USA wird einer von ihnen von einer Polizistin am Arm berührt, weil er bei Rot über eine Kreuzung fahren will ("Why did you touch my arm?" - "Because you are not a car!"); in Melbourne lernen sie einen einsamen Kellner kennen, den sie später mit einer Frau verkuppeln werden, und sie hören einen Beatles-Song ("In My Life") im Radio.

Letzteres ist deshalb bemerkenswert, weil man in Großbritannien angeblich nie Beatles-Songs im Radio hört. Während Gregg erzählt, dass er in dem Melbourner Café den Song hörte und gleichzeitig auf der Straße einen Mann sah, der weinend im Regen stand, sieht man im Video den Bahnhof von Karlsruhe, und Gary beginnt "In my life" zu singen. So werden kleine Beobachtungen zu poetische Momenten verdichtet, und aus einem skurrilen Weltreisebericht wird ein kleines Welttheater. Die Reise beginnt und endet mit einer Schiffspassage. Die beiden Weltreisenden haben lauter winkende Menschen am Ufer gefilmt. Das ist ein komisches, aber auch tröstliches Bild: Solange die Menschen es nicht lassen können, Schiffen zuzuwinken, ist noch nicht alles verloren. Das Publikum im TaO hat es am Ende dennoch vorgezogen zu applaudieren.

"Concert for Greenland" ist noch am 6.10., 21 Uhr, und am 7.10., 19.30 Uhr, im Dom im Berg zu sehen. Karten: Tel. 0316/81 60 70 bzw. www.steirischerherbst.at

Wolfgang Kralicek