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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
der Standard - 02.10.2006
Das heiße Eisen der Angst


Programmieren heißt pokern: Mit der Uraufführung von Romeo Castelluccis enigmatischer Erweckungsgeschichte "hey girl!" hat der steirische herbst gepunktet. Richard Maxwell enttäuschte, und der estnische Choreograf Mart Kangro ist erst im Kommen.

Das Fehlen eines Generalthemas beim diesjährigen steirischen herbst hat sich am vergangenen Wochenende schon bezahlt gemacht. Den italienischen Theatermacher Romeo Castellucci nicht dabei zu haben, nur weil er nichts Überschriftkonformes im Köcher hatte, wäre ein Versäumnis gewesen.

Deshalb hat Veronica Kaup-Hasler in ihrem ersten Intendantenjahr lediglich lose Begriffe wie "Kontrolle" oder "Kollaboration" ausgegeben. Und Castellucci war im Rennen. Seine durch enigmatische Symbol- und Körperkunst zu einer eigenen Marke gewordene Societas Raffaello Sanzio aus Norditalien steht bekanntlich wie kaum eine andere Theatergruppe ausgerechnet für die Unintegrierbarkeit von Kunst. Hier und bis gestern im Besonderen mit der Uraufführung von hey girl! im Grazer Dom im Berg.

Die Societas löste damit jenes verstörende, "überraschende" Moment der Festivalkunst ein, das Richard Maxwell in The End Of Reality tags zuvor vermissen ließ.

hey girl! ist die beängstigende Erweckungsgeschichte eines weiblichen Geschöpfes, das als geopferter Schmetterling endet: Eine Frau (Silvia Costa) löst sich in einem Verpuppungsprozess aus einer fleischfarbigen, breiig vom Tisch zu Boden triefenden Masse, steht auf und tritt in die Welt der Düsternis (bzw. in die mit dichtem Theaternebel verhangene Grottenhalle im Dom im Berg). Sie zieht Jeans und T-Shirt an, kniet vor einem glühenden Ritterschwert nieder, brennt damit ein Kreuz in einen Stoff, den sie sich zwecks Kreuzzug umhängt. Sie keucht schwach und langsam Namen geopferter Frauen und schwingt das heiße, schwere Eisenschwert.

Höllisch schrille Alarmgeräusche und gleißendes Blinklicht jagen sie von L (links) nach R (rechts), bis sie wieder zur Ruhe kommt. Sie stülpt ein größeres Double ihres eigenen Kopfes über. Später begegnet sie ihrem Ritter, er ist eine Frau (Sonia Beltran Napoles, nackt, mit metallener Farbe bemalt). Sie trifft Vorkehrungen für die Verpuppung zum Schmetterling. In seinen schwarzen Flügeln wird sie hängen. Im Flügel wird ein Schwert stecken. So weit Castellucci.

Dämmerzustand
Das Verfahren mit Symbolen, die unheimliche Präsenz der Figuren, vor allem auch die klotzende Schreckensmusik von Scott Gibbons ziehen das Publikum in einen sirrenden Angsttraum eines jungen Menschen - unter Einsatz mittelalterlicher Kampfkunst. Castellucci (46) beherrscht es, der (fehlenden) Sprache eines im Dämmerzustand gehaltenen Albtraumes einen Körper zu geben.

Dem Risiko der Erstaufführung hat sich Kaup-Hasler auch im Falle von Richard Maxwell ausgeliefert. Der New Yorker, der sich mit gänzlich emotionslosen und bewegungsarmen Kammerspielpiecen einen Namen gemacht hat ( House ), passt mit seiner Farce aus der Welt der Sicherheitsbeamten nach 9/11 zwar glänzend ins Programm, doch blieb die europäische Erstaufführung von The End Of Rea lity im Theater im Palais eine matte Sprechübung, der von der Entschlossenheit Maxwells früherer Arbeiten nichts mehr anhaftete.

Das Büro einer Securityfirma ist hier Anschauungsort für die Angstzustände einer/der amerikanischen Gesellschaft. Das Geschäft mit der Sicherheit blüht. Diverse imaginäre Bedrohungsszenarien im Visier, gelingt es den Wachbeamten allerdings nicht, einen Eindringling mit läppischen Knieschützern zu überwältigen. Maxwell hat die rigiden Regeln seiner Spielkunst aufgeweicht und hier leider verspielt.

Als leichten Nachschlag bot dann noch der junge estnische Choreograf Mart Kangro seine Performance Out Of Functions an. Drei Darsteller berichten darin tänzerisch wie verbal und dabei einander ablösend aus ihrem Leben ("My first job" oder "My first memory"). Es ist die Bruchstückhaftigkeit des Gesagten, die sich in den Bewegungen fortsetzt: Posen werden aus größeren Szenen herausgelöst und fokussiert. Leicht und witzig.


Margarete Affenzeller