wukonig.com



steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Die Welt - 27.09.2006
Wasserballett und Erweckungspredigten


Eine Uraufführung Marke Eigenbau: Armin Petras, neuer Intendant der Berliner Maxim Gorki Theaters, inszeniert Fritz Kater. Der aber ist kein anderer als Petras selbst. Tatort: Graz im Rahmen des Festivals "steirischer herbst". Das Stücklein "Tanzen!", es dauert 65 Minuten, bezeichnet der Autor als "Industrial Soap Opera". Wir befinden uns in einer Biotech-Firma mitten im Turbokapitalismus. Inga ist "35, und die sieht Mann", weiß der Autor. Die jüngere, unbekümmerte Sandra indes wird ihren Weg machen, sei es auch über das Bett des obersten Chefs. Da kann der notgeile Personal-Supervisor, der Mittvierziger Bernie, nicht mithalten. Also bleibt nur Selbstkastration (Peter Moltzen erledigt das sehr anschaulich).

Petras inszeniert sich selbst wie üblich laut und grell, die Darsteller müssen einiges an Körpereinsatz leisten. Die glänzende Sandra der Nicolette Krebitz wäre mir beinah auf den Schoß gefallen, konnte aber - im Gegensatz zum spritzenden Wasser - gerade noch bremsen. Trotzdem bleibt der Eindruck: Im Arbeitsleben von heute geht es zwar leiser, doch brutaler zu als im Slapstick-Theater von Fritz Kater alias Armin Petras.

Auch der "steirische herbst", dieses spartenübergreifende Festival für zeitgenössische Kunst, hat eine neue Leiterin: Veronica Kaup-Hasler. Sie ist genötigt, was ihr an Geld fehlt, durch Originalität zu ersetzen. Hübsch das Projekt "Campshow Steiermark". Umgestaltete Wohnwagen (vom mystischen Swimmingpool bis zum fahrbaren Planetarium) touren drei Wochen lang durch das Bundesland. Die amerikanisch-deutsche Künstlergruppe "CHEAP + Vaginal Davis" tritt ausgerechnet im katholischen Gnadenort Mariazell auf, wo eine Mischung aus "Hollywood-Wasserballett und kommunistischen Erweckungspredigten" geplant ist. Die Wallfahrer werden's zu würdigen wissen.

Minder Mobile haben sich mit dem Grazer Ausstellungsangebot zu begnügen. Am eindrucksvollsten: Eine Abordnung der Trash-Armee des deutschen Aktionskünstlers HA Schult hat, auf Einladung von Peter Weibel, im Hof der Neuen Galerie militärisch exakte Aufstellung genommen. Und die Schrottfiguren, die bereits auf der Chinesischen Mauer, vor den Pyramiden von Gizeh und auf dem Roten Platz gastierten, verfehlen auch im Ambiente des weiland Palais Herberstein ihre verstörende Wirkung nicht. Kurator Weibel wird ganz lyrisch: "Menschen aus Müll zeigen, wir leben in einer Epoche aus Müll, wir produzieren Müll und werden zu Müll."

Erheblich Kopflastigeres bietet das Kunsthaus Graz, das sich derzeit in Anagramm-Verkleidung "Gutshaus Kranz" nennt, unter dem Titel "Protections. Das ist keine Ausstellung". Am amüsantesten: Wenn man wieder ins Freie will, wird Eintritt verlangt - die Welt draußen ist die eigentliche Schau. Nun gut. Drinnen war's auch wirklich nicht aufregend. Das Angebot, Amulette gegen unerwünschte Schwangerschaft oder schlechtes Urlaubswetter zu erwerben, hatte ich dankend abgelehnt. Der Papagei Joko, das Maskottchen meines Stammhotels, dem ich davon berichtete, krächzte ungehalten: "Unfug!" Joko ist eben in Kunstdingen ein alter Reaktionär. Er hätte sich wohl auch in der Ausstellung der Camera Austria "knowing you, knowing me. Zur Komplizenschaft mit Bildern" nicht wohl gefühlt. Dabei gibt es dort zumindest ein interessantes Objekt: die Grafikserie "Amnesie International" des 38-jährigen Tirolers Thomas Feuerstein. Sie besitzt, ob in Form der Handzeichnung oder des Fotos, Witz und Hintersinn, ist Ideologie- und Gesellschaftskritik zugleich. Mehr lässt sich nicht verlangen.

Steirischer Herbst bis 15. Okt; "Tanzen!" ab 8. Oktober im Berliner Maxim-Gorki-Theater

Ulrich Weinzierl