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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
der Standard - 21.09.2006
Alle Kunstwerke unter totaler Kontrolle Der "herbst" frönt 2006 der Theorie


Zur Ausrichtung eines modernen Mehrspartenfestivals bedarf es mehr als nur des lapidaren Verweises auf unselige Zeiten und die Brüchigkeit einer absehbar aus dem Ruder laufenden Welt.


Die steirische-herbst -Macherin Veronika Kaup-Hasler hat einem Team rund um den Dramaturgen und Kulturjournalisten Florian Malzacher die Erarbeitung und Ausschilderung so genannter "key words" anvertraut: Wer sich daher heuer, in Kaups Antrittsjahr, in den goldüberglänzten Mur-Gefilden umtreibt, wird nachdrücklich auf das "Imaginäre" unserer Gesellschaft gestoßen: den Rückzugsraum eines Traums vom besseren Funktionieren unseres Gemeinwesens. Er wird den Umgang mit diffus soziologischen Ordinalbegriffen erlernen müssen, die den Zugriff auf das Große, Ganze der (westlichen) Weltgesellschaft gewährleisten sollen.

Das "interdisziplinäre" Interesse der diversen Beiträger wird strikte auf die Begriffstrias "Kontrolle, Teilhabe, Open Source" ausgerichtet. Man könnte dieses Modell - mit aller gebotenen Vorsicht - auch als dialektische Triade erklären: Die drögen, hoffnungslos altmodischen Strategien der althergebrachten "Disziplinarmacht" sind passé. Sie sind disziplinierenden Kräften gewichen, die von oben Globalisierung verordnen und von unten einen Zerfall gesellschaftlicher Lebensformen ermöglichen, was man auf gut Soziologisch auch "Diversität" (von Lebenspraktiken, Erwerbsflexibilisierungen) nennen kann. Letztere lässt sich von keiner althergebrachten Politik mehr regulieren, auch gelangen beide Sphären niemals zur Deckung.

Der Begriff "Kontrolle" erzählt daher nicht nur mit Blick auf endlose Perlustrierungen am Flughafen-Gate vom inhaltlichen Leerlauf einer ganzen Flut von Ordnungstechniken, die nicht mehr bloß die Körper der "Beherrschten" zurichten und formen, sondern ihrerseits Abstrahierungsschüben ausgesetzt sind.

"Teilhabe" am Ganzen - also am Kuchen dessen, was der globalisierte Markt für seine qualifizierten Teilhaber als Dienstnehmer abwirft - wird nun paradoxerweise an die Flexibilisierung eines Lebensvollzugs geknüpft, der unter dem Banner der "Eigenverantwortlichkeit" die Individuen zur fröhlichen Selbstausbeutung vergattert, ohne dass die strukturell auf sie ausgeübte Gewalt auch nur andeutungsweise sichtbar würde.

Um so vergnüglicher daher der Verweis auf ein "Paradigma" namens "Open Source", das aus dem binären Reich der Computerprogramme herrührt und nichts anderes meint als die Aufhebung der beschämenden Trennung in Produzenten (des Programms) und Konsumenten.

Wie so häufig in vielen postmarxistischen Diskursen taucht da die Chimäre einer nicht ausgebeuteten/"lebendigen" Arbeit auf, die sich um Urheberschaften nicht mehr bekümmert, diverse "Spielfelder" eröffnet (oder besser noch: "aufspannt") und so für das "unentfremdete" Produzieren gerade auch im Festival-/Theoriezirkus ein paar begrifflich zugespitzte Lanzen bricht.

Der steirische herbst will es 2006 noch einmal wissen: Man begnügt sich nicht mit Generalthemen, Leitparagrafen oder der Ausgestaltung einer schmucken "idée fixe". Man muss schon auf das einstige Wirken des herbst -Intendanten Horst Gerhard Haberl (1990-1995) zurückgreifen, um eine ähnliche Theoriebeflissenheit ausmachen zu können. Risiken und Nebenwirkungen liegen allerdings auf der Hand: Wer nach der alten Väter Sitte in Graz noch einen Theatervorhang hochzieht, der muss schon sehr genau wissen, ob er genug gute Gründe hat, um nicht "bloß" ein Künstler zu sein.

Ronald Pohl