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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Kronen Zeitung - 15.10.2006
Totale Einsamkeit ohne Chance auf Erlösung
"herbst" im Schauspielhaus Graz: "vsprs" von Les Ballets C. de la B. und Alain Platel

Mit der Tanzproduktion "vsprs" von Les Ballets C. de la B. in der Regie von Alain Platel bot der "steirische herbst" seine letzte Premiere in diesem Jahr im Grazer Schauspielhaus. Ein vielschichtiges, hin- und mitreißendes, mehr als atemberaubendes Ereignis!

Monteverdis Vespro della Beata Vergine aus dem Jahr 1610 hat beim jungen Platel wohl nachhaltig Eindruck hinterlassen. Durch die sich schnell verstimmenden Originalinstrumente allerdings weniger einen barocken als vielmehr den einer schmissigen Zigeunermusik. Mit
Fabrizio Cassol hat er die Marienvesper also zu einem mitunter etwas beliebigen stilistischen Mischmasch verarbeitet, das Orchester mit Zigeuner-Musikern, Jazzern und Barock-Instrumentalisten besetzt, eine klassische Sopranistin eingesetzt und so einen idealen Klangteppich für seine zehn Tänzerinnen und Tänzer gewoben.

Und die sind wirklich unglaublich! Mit akrobatischen Verrenkungen, ungemeiner Kraft, Expression und höchster Virtuosität folgen sie den Bewegungen von Menschen, die unter Autismus, dem Tourette-Syndrom oder hysterischen Erkrankungen leiden. Als Vorlage dienten ihnen filmische Dokumentationen über Hysteriekranke des belgischen Neurologen Arthur Van Gehuchten aus dem Jahr 1905 oder afrikanische Trance-Rituale.

Doch Platel thematisiert in "vsprs" nicht die Krankheit, sondern vielmehr die Isolation, die abgrundtiefe Einsamkeit des Individuums, dem er im Gegensatz zu Monteverdi keine Erlösung gönnt. Ein Erlebnis!

Michaela Reichart