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steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
die Furche - 19.10.2006
Graz generiert
Der steirische herbst feierte mit den Tanztheater "VSPRS" ein grandioses Finale.

Auch wenn am letzten Wochenende der diesjährige steirische herbst nach gut drei Wochen zu Ende gegangen ist, lautet das Lieblingswort der neuen Intendantin Veronica Kaup-Hasler immer noch "generieren". Sie liebäugelte konsequent (und das bei nicht gerade üppigem Budget) mit einer "programmatischen Überforderung": Bei 280 Einzelveranstaltungen kann man zurecht von einem Produktionshype sprechen, der Graz in diesen Tagen heimgesucht hat.

Es ist gelungen, dieses ins 39. Jahr gekommene Avantgardefestival wieder spontaner werden zu lassen, die Interdisziplinarität der Kunstspektren zu bedienen, an Theorie und Praxis zu laborieren (herausragend: Das Wörterbuch des Krieges, welches sich mit der Militarisierung von Sprache und Alltag beschäftigte), ein Feld aufzubereiten, in dem sich die diesjährigen Leitmotive "Kontrolle, Teilhabe, Open Source" vorantreiben ließen. Und es wunderte kaum, dass nicht alles, was hier generiert wurde, Festivalqualität hatte. So vermochten etwa die als Theater-Highlights gepriesenen Uraufführungen von Fritz Katers/Armin Petras (D) Tanzen! und Nine Years von der Gruppe Lone Twin (GB) trotz hochexplosiven Problemstoffs kaum den Blick zu verändern und zum nochmaligen Hinschauen zu verleiten, wie es sich Kaup-Hasler im Furche-Interview zum Festivalauftakt von der Kunst noch gewünscht hatte.

Den Blick hat sie nicht verändert, doch nach oben zu schauen zwang Georg Nussbaumers (A) tönende Luftskulptur Schwerefelder mit Luftabdrücken am Beginn des Festivals. Denn da fiel das halbe Leben (Medikamente, Bücher, Orden, Orangen ...) herab und knallte bei Percussionklängen und aufbrausenden Windmaschinen in Glasvitrinen. Und lehrte vor allem, dass nicht alles, was fällt, der Fall ist. Was aber ist der Fall? Bei Klaus Langs (A) performativer Klanginstallation fichten meinte man etwas erhascht zu haben, weil man schon weich lag, während das große Grazer recreation-Orchester hinter Netzvorhängen mit unendlich langsamem Tastengleiten die Hörenden in ihrer Mitte wie Strandgut anschwemmte; 70 Minuten lang war nichts als eine auratische Quadratur existent.

An Tatsachen arbeitete sich auch der Tanz ab. Bereits die Uraufführung von Societas (I) hey girl! brachte den erhofften Kick fürs Festival, was zwei andere Tanzprojekte - Richard Maxwells (USA) The End Of Reality und Mart Kangro (Estland) Out of Functions - völlig vermissen ließen. Der Schwerkraft zu trotzen und Schwellen zu überschreiten, hinter denen liegt, worauf es ankommt, gelang allerdings nur Platels (B) Tanztheater VSPRS. Elf virtuose Tänzer, die an einer unstillbaren Sehnsucht zu krepieren scheinen, vibrierten sich zu Monteverdis Marienklängen und Zigeunermusik vor einer mit weißen Linnen ausgehängten Grotte in einen obsessiven Mitgefühlsrausch. Die Mutter Gottes verwehrte die große Erlösung. Warten wir auf den nächsten herbst!

Barbara Rauchenberger