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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Falter - 27.09.2006
Alles offen
KUNST Der steirische herbst bietet der zeitgenössischen Kunst Bühnen zur Einübung frisch anmutender, aber nicht wahnsinnig innovativer Handlungsweisen. Ein Rundgang.

Margarethe Makovec ist nach eigenen Angaben das Kuratieren noch nie so schwer gefallen. Schließlich waren für die Ausstellung "No Space is Innocent!" im Forum Stadtpark so amorphe wie weitschweifige Begrifflichkeiten wie Raum und Schuld zu problematisieren. Das birgt neben architektonischen zumindest auch (kunst-)politische Bezüge und läuft darauf hinaus, Raum als Produkt ideologischer Einschreibungen verdeutlichen zu müssen. Dem kommt die Kunst immer noch am plakativsten nach, wo sie ihre Räumlichkeiten verlässt und den öffentlichen Raum interaktionistisch einzubinden weiß. Also hat die Berliner Künstlergruppe bankleer einen blasmusikalisch unterlegten Trauermarsch organisiert, der zur Eröffnung der Ausstellung am Samstag durch die Grazer City zog und die Aufmerksamkeit auf der Stadt peinliche Orte wie den Hauptplatzbrunnen oder die Schubhaftanstalt am Paulustor zu lenken suchte. Der Marsch verlief für die Teinehmer und einige aufgeschlossene Passanten durchaus anregend, die peinlichen Orte werden der Stadt trotz des Fingerzeigs allerdings bis auf weiteres erhalten bleiben.

Auch die Neue Galerie denkt im Rahmen ihrer Ausstellung "SLUM" an Aktionistisches. Was genau wann und wo stattfinden soll, wird aber noch nicht verraten, gilt es doch, den Alltag so unvermittelt wie möglich mit der Kunst zu konfrontieren. Das dabei im Mittelpunkt stehende, inzwischen auch europäische Städte betreffende Problem der "Verslumung" ist der Kunst jedenfalls schon lange Zeit bewusst. Die Neue Galerie ruft dazu HA Schult als Zeugen auf. Seinem im Innenhof des Palais Herberstein in Formation gebrachten, längst angerosteten Figurenheer aus Abfallprodukten (Jahrgang 1996!) werden - diesmal dankenswert ganz ohne enzyklopädische Allüren - fotografische und filmische Arbeiten beigestellt, die punktuell Ergebnisse von Recherchen unvorstellbarer Lebensbedingungen liefern und stärker sozialdokumentarisch als künstlerisch motiviert sein dürften.

Immerhin bringt die bildliche Dokumentation von Welt Probleme mit sich, die einen medienanalytisch eingestellten Blick erfordern. Die Camera Austria hat ihre gut konzipierte Ausstellung ganz darauf ausgerichtet. Die Simulation unterschiedlicher Genres der Bildproduktion untersucht, was die Repräsentation und also Konstruktion von Wirklichkeit via Bild bestimmt. Aus voyeuristischer Paparazziperspektive zitieren beispielsweise G. R. A. M. die Bildkultur des Boulevard, Mark Raidpere die nachmittags in Talkshows abgehandelte Geständniskultur. Marco Poloni legt in seiner sechzigteiligen Arbeit "Permutit - Scenes from an Unmade Film" narrative Spuren aus, die sich dennoch zu keinem Ende hin verfolgen lassen. Und Thomas Feuerstein ruft in Symbolen verpackte Gemeinplätze auf, persifliert sie in Umkehrung ihrer ursprünglichen Gehalte. Der Ansatz ist nicht neu, soll der Bilderflut zumindest einen Wunsch entgegensetzen.

Letztere macht dem Kunsthaus Graz - pardon, "Gutshaus Kranz" heißt es jetzt - wohl die geringsten Sorgen. Die in "Protections" von Adam Budak und Christine Peters angedachte Auflösung des gezimmerten Ausstellungsformats in aktionistische Verläufe könnte - Besucherströme vorausgesetzt - für Messe-, wenn nicht Jahrmarktatmosphäre sorgen. Widrigenfalls für viel Verlorenheit im dunklen Walfischbauch. Immerhin ist man sich der Hemmschwellen eines Teils der Öffentlichkeit bewusst. Sie findet in Roman Ondaks Performance "The stray Man" einen gecasteten Vertreter aus den Kreisen derer, die noch nie im Kunsthaus waren. Der Mann soll seine Nase regelmäßig an der gläsernen Außenfassade der Blase flachdrücken.

Andernorts ist das nicht mehr möglich: Der Grazer Kunstverein ist probehalber schon in das Palais Thienfeld übersiedelt. Die bei Gordon Matta-Clarck geborgte Geste, die architektonische Grenze zum Kunsthaus hin aufs Provisorische herunterzubrechen und reihum die Glasfensterwände zu entfernen, ironisiert das vom Kunstverein gewählte Leitmotiv "Sicherheit", wandelt den Raum zur Passage und bringt die ausgestellten Arbeiten in prekäre, weil wetterfühlige Lage. Dass es sowieso kein allgemein verbindliches Konzept von Sicherheit geben kann, klärt sich in der Ausstellung bald.

Als sicher darf eines angenommen werden: Dass die kommerziellen Galerien heuer nicht im herbst-Programm vertreten sind, hat - bei aller Wertschätzung der jeweiligen Programme - die thematische Verdichtung der einzelnen herbst-Produktionen zu einem stringenten Ganzen nicht gerade erschwert.

Alle Ausstellungen mit Öffnungszeiten im Programmteil. Der Verein Kunst.Werke bietet geführte Rundgänge an.

Ulrich Tragatschnig