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steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Falter - 18.10.2006
Das letzte Mahl
Herbst-Tagebuch IV Essen, um zu vergessen: Der herbst nahm mit Gulasch, Würsteln und einer schönen Portion Melancholie seinen Abschied.

11.10.2006 Am Anfang das Brot, am Ende der Tod. Schleichend und begleitet von allerlei gut gemeinten kulinarischen Zerstreuungen stahl sich der steirische herbst vergangene Woche aus der Stadt. Briten scheinen besonders gut zu wissen, wie das geht. Für ihren in der Campshow vor dem Künstlerhaus gezeigten Film hat sich das Künstlerduo plan B - inzwischen zur Kleinfamilie mit Baby angewachsen - ausgerechnet Kirchbach für seine "English Tea Time" ausgewählt, den Wohnwagen an der Hauptstraße geparkt, im improvisierten Vorgarten ein Tischchen mit tea and biscuits gedeckt und auf Passanten gewartet, die sich in Gespräche verwickeln ließen. Die gibt es in Kirchbach natürlich nicht, das weiß jeder Steirer, schon gar nicht am Sonntag. Fazit der Briten: "Kirchbach ist tot." So trocken hat das noch niemand gesagt. Dann vertschüssten sich Sophia New und Daniel Belasco Rogers in ihrem Camper-Road-Movie nach Spielfeld. Zur Beruhigung der verstörten Zuseher verteilte herbst-Intendantin Veronika Kaup-Hasler im Anschluss Gratisgulasch im Festivalzentrum.

13.10.2006 Bloß Brötchen wurden bei der Schluss-Pressekonferenz Freitag früh gereicht. Und Zahlen: 280 Veranstaltungen, 97,5 Prozent Auslastung, 46.000 Besucher, mehr als 500 anwesende Künstler und 190 akkreditierte Journalisten. Auf einen Journalisten kamen mit 242 Zuschauer, auf einen Zuschauer 0,0109 Künstler. Das muss reichen.

In der Überzahl waren zunächst die Vortragenden, die sich ab Freitag Abend zum Wörterbuch des Krieges im Dom im Berg versammelten. Für zwei Tage verwandelte sich der Dom zum Wissensbunker und Wörterbienenstock. Basar war´s noch keiner, dafür wurde zu wenig diskutiert. Die Beiträge gerieten einmal beflissen, einmal zornig, manchmal auch einfach müde - je nach Stil, den die 25 Theoretiker und Künstler aus aller Welt ihrem Wörterbucheintrag gaben. Nach dem Auftakt von Mansur Jacobi, der große Politik mit einer persönlicher Geschichte des Libanonkrieges verknüpfte, gleich ein Höhepunkt: Das Raqs Media Collective aus Delhi holte zum Stichwort "Ashwatthama" weit aus und beschwor anhand des legendären, unsterblichen Kriegers aus dem Mahabharata einen allgegenwärtigen Kriegszustand in einer Welt, in der das Schlimmste, die Apokalypse, zwar schon passiert ist. Aber Schlimmeres noch jederzeit geschehen könne. Danke! Ein erhabener Text, wie man ihn selten zu hören bekommt, auf Video nachzuempfinden unter dictionaryofwar.org. Das Projekt selbst hat bereits in Frankfurt, München und im Internet Station gemacht, und wird im Februar in Berlin vollendet.

14.10.2006 Während am Samstag im Dom noch eifrig zum Thema Krieg dekliniert wurde und Warren Neidich seine Zuhörer dazu brachte, Ghandis Spruch "Auge um Auge macht die ganze Welt blind" immer wieder auf eine Schultafel zu schreiben, nahmen Alain Platels vsprs-Tänzer im Schauspielhaus das Wochenthema Brot und Tod geschickt auf, prügelten sich Fuckhead, Reflector und Kollegen am musikalischen Abschlussabend im Forum Stadtpark durch die Tücken des Schaffensprozesses, und boten die deutschen Elektropopper Schneider TM im Festivalzentrum, schwarz bekuttet, einen traurigen Gegenpol zur PeterLicht-Gestalt der ersten Woche. Der heimliche Star der letzten herbst-Tage: Die Campshow, die sich anfangs eher schleppend entwickelt hatte, im Zusammentreffen aller fünf Wagen, die drei Wochen lang durch die Steiermark gezogen waren, aber zu melancholisch-schöner Form fand. JoeJim, der zusehends lädierte Moderator vom Berliner Club Real, führte mit dem schwarzen Huhn gewohnt gnadenlos durch den Abend, beim Theater im Bahnhof war der fertige Fotoroman zu Steinbecks "Früchte des Zorns" zu bestaunen, es gab Feuer und Suppe. Eine solide Unterlage für den letzten Abschied des Abends: Resanita, das schönste Spontanlokal ever, macht dicht. PeterLicht durfte auch dazu das Ende des Kapitalismus besingen.

15.10.2006 "Last Brunch" im Künstlerhaus. Die Herbstsonne beschien die blassen Gesichter, die Wiener dampften am Pappteller, neben dem Festivalzentrum zogen schwitzende Läufer des "Kultur-Marathons" vorbei. Ein würdiges Ende: Die "Moritat vom reisenden Kinde", deren 34 Strophen JoeJim den Zuhörern direkt in die Herzen schnitt. Wenig später hauchte der Campshow-Moderator den Rest Leben, der in ihm gesteckt haben mag, auf der Bühne aus, das schwarze Huhn grub ihm ein feuchtes Loch auf Wiese.

"So ist zu End´ die traurige und quälende Geschichte,
die wahr ist, wenn erzählet auch nur in einem Gedichte,
von einer Frau, die immer nur wollt´ seh´n des Meeres Wogen,
und ist doch nur ihr Leben lang durchs Steirerland zogen."

Thomas Wolkinger