wukonig.com



steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Frankfurter Rundschau online - 08.06.2006
Alles erlaubt
Eine Tagung sammelt Begriffe für ein "Wörterbuch des Krieges"

Es war eine durchaus freundlich gemeinte Übernahme, mit der die Frankfurter Initiative "Unfriendly Takeover" und der Berliner Verband "Multitude e.V." am Wochenende die Städelschule besetzten, um zwei Tage und Nächte lang am Kriegsvokabular zu arbeiten. Auch wenn man sich "womöglich selbst als eine Art von Kriegsmaschinerie" identifizierte: Die feindliche Übernahme fand auf ausschließlich theoretischem Gelände statt. Im Sinne eines Wieder-Ansichreißens von Begriffen und mit dem Ziel, ein Wörterbuch des Krieges zu erstellen, das dem bestehenden, alltäglichen, als trügerisch empfundenen (weil tatsächliche Machtverhältnisse verschleiernden) Sprachgebrauch begriffliche Neubildungen und Umdeutungen an die Seite stellen soll.

Eine "Produktions"-Veranstaltung wollte das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Seminar vor allem sein, zunächst also noch mehr nach innen als nach außen gerichtet. Man umgab sich trotzdem mit einem multimedialen Großaufgebot (vier große Leinwände in der kleinen Städelschulaula, eine fünfte in der Kantine), als gelte es, in einem Wettrüsten mit dem Mainufer (SkyArena) zu bestehen, oder als habe man insgeheim doch auf den Publikumsansturm gehofft. Der blieb aus, man blieb unter sich, womit die Sitzreihen aber auch schon gut gefüllt waren: Zu insgesamt 27 (!) Beiträgen waren immerhin Referenten, Künstlergruppen und Freunde angereist. Abgehandelt wurden die fürs Wörterbuch vorgesehenen Begriffe in alphabetischer Reihenfolge und einem zunächst in geradezu militärischer Strenge eingehaltenen 30-Minuten-Takt (den man dann allerdings am zweiten Tag, mit dem Effekt eines gewaltigen Verzugs in die späten Nachtstunden hinein, aufgab).

Den Startschuss gab Irit Rogoff, auf Genderfragen spezialisierte Professorin aus London, mit einer Art leitmotivischem Prolog, in dem sie ausgehend von der Wendung "All is fair in love and war" ("In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt") zunächst einmal die Unschärfe der Begriffe "Krieg" und "Liebe" konstatierte. Dann ging es los mit dem Marathon der begrifflichen Schärfung: mit "A" wie "architektonisches Wettrüsten" über "C" wie "Comrade / Kamerad" zu "F" wie "Flexibilität. Vom "Luftraum" zur "Nato" und "Neutralität", vom "rhizomatischen Manöver" hin zum "Wetter". Womit das Alphabet in Frankfurt fürs erste zum Abschluss kam, für X, Y und Z lassen sich vielleicht bei den drei Anschlussveranstaltungen (im Juli in München, im Oktober in Graz, im Januar 2007 in Berlin) noch Einträge finden. 100 "Schlüsselbegriffe" sollen es am Ende sein.

Aus Deutschland und Jugoslawien, England und Rumänien, der Schweiz, Schweden und dem Libanon waren Theoretiker, Künstler, Musiker, "Aktivisten" und Architekten angereist, die einen mehr, die anderen weniger mit real existierenden Kriegen erfahren. Entsprechend weit war das Spektrum der Perspektiven: Eine Shampoo-Werbung, in der Kate Moss dem Haarspliss den Krieg erklärt, wurde zur Begriffsbildung ebenso herangezogen wie Bilder im Irakkrieg verbrannter amerikanischer Soldaten.

Bauen Sie möglichst flach!
Die Architektin Ines Weizman dokumentierte das architektonische Wettrüsten im Kalten Krieg (Berliner Fernsehturm gegen Springer-Hochhaus, beide über die Mauer für die andere Seite weithin sichtbar); Srdan Jovanovic Weiss referierte über die Schwierigkeiten der Nato, bei den Luftangriffen auf Belgrad die richtigen Gebäude zu bombadieren. Er hatte auch Tipps für Architekten in Krisengebieten parat - etwa einfach so flach zu bauen, dass das Gebäude aus der Luft aussieht, als sei es bereits dem Erdboden gleich gemacht. Nicht minder tragikomisch die Zeichnungen, die Dan Perjovschi zu Militärischem Denken (kein Hirn unterm Helm) oder verantwortungsbewusstem Kriegshandeln zeigte: Ein Suizidaler Panzer hält seine Kanone gegen sich selbst gedreht, ein Beschämter Panzer ist in Srebrenica gewesen.

Es wurden Männlichkeitsideale, hauptsächlich amerikanischer Soldaten, analysiert ("Comrade", "Manhood"), vom Irakkrieg inspirierte Bild-Klang-Kompositionen präsentiert, Überlegungen zum Verhältnis von Kräften und Räumen ("Jeder Benutzer kann zum Autor des Raumes werden") angestellt. Eine einfache Antwort auf die Frage, warum man einen Krieg anfängt, lieferten Thomas Nordanstad und Carl Michael von Hausswolff: "Weil man etwas braucht, was einem fehlt." Unter "L" wie "Lebens-Mittel / Life Support" zeigten sie Bilder einer baufälligen Stadt in der ägyptischen Wüste, in der immerhin - warum sollte man diesen Ort wohl sonst auch brauchen - Palmen wachsen und Wasser fließt. Und nicht nur Wasser: Die am Ende des Films lautlos aus der Oase ausziehende Karawane von Tanklastzügen - warum sollte man diesen Ort wohl sonst auch brauchen - sagte mehr als 1000 Worte und 100 Begriffe. Und ließ - und das dürfte im Sinne der Kleist zitierenden Wörterbuch-Initiatoren sein: Man müsse "die Sprache an sich reißen und etwas Unverständliches zur Welt bringen" - doch mindestens ebenso vieles unerklärt.

Das "Wörterbuch des Krieges" erscheint 2007 bei Merve. www.dictionaryofwar.org


Mirja Rosenau