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steirischer herbst

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» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Profil - 20.09.2006
Die Turbo-Intendantin


Theater. Das Grazer Avantgardefestival steirischer herbst setzt unter der neuen Leitung nicht auf Glamour, sondern auf vielschichtige Gesellschaftskritik.

Die anwesenden Theaterleute staunten: Der jüngste Gast auf der Premierenfeier der Forced- Entertainment-Produktion "Bloody Mess", die 2004 beim Kunstenfestival in Brüssel präsentiert wurde, lag zufrieden in seinem Kinderwagen und schlief. Kein noch so lauter Partylärm konnte den Kleinen wecken, und kein neugieriger Premierenbesucher vermochte ihn zu irritieren.

Das Baby mit der stoischen Ruhe heißt Valentin. Es ist das zweite Kind von Veronica Kaup- Hasler, der neuen Intendantin des Grazer Gegenwartskunstfestivals steirischer herbst. Kaup- Hasler ist mit einem Maß an Energie ausgestattet, mit dem man auch Spitzensport betreiben könnte. Und sie verbindet zwei Extreme, die einander oft ausschließen: Kaup-Hasler ist absoluter Familienmensch und Theatermaniac. "Leben und Kunst sind bei ihr nicht getrennt, die Zusammenarbeit mit ihr ist immer sehr persönlich", beschreibt Regisseur Stefan Kaegi von der Theaterformation Rimini Protokoll die unermüdliche Intendantin.

Veronica Kaup-Hasler wurde 1968 geboren - und ist damit genauso alt wie jenes Festival, das sie heuer erstmals leiten wird. Ein Neubeginn, der mit erheblichen Problemen verbunden war: In den letzten Jahren lieferte der steirische herbst aufgrund schwerer Geldprobleme regelmäßig Negativschlagzeilen. Mit dem Bau der Helmut-List-Halle hatten die Grazer Politiker und Ex-Intendant Peter Oswald das Festival in eine fatale finanzielle Krise gestürzt. Mehr als eine Million Euro Altlasten entstanden allein durch die Betriebskosten der neuen, aufgrund ihrer Größe auch schwer bespielbaren Halle und zwangen das Avantgardefestival auf einen harten Sparkurs. Die Lokalpolitik wälzte die Schuld auf den Intendanten ab, und Peter Oswald verabschiedete sich nach seinem Programm 2005 - obwohl sein Vertrag noch bis 2007 gelaufen wäre.

Altlasten. Als Veronica Kaup-Hasler als Leiterin des Avantgardefestivals im Herbst 2004 als Intendantin designiert wurde, forderte sie vehement eine wirtschaftliche Entkoppelung der List-Halle vom "herbst", was mittlerweile durch die Gründung einer neuen GmbH auch umgesetzt wurde. Der steirische herbst steht zwar jetzt mit einer jährlichen Basissubvention von 2,65 Millionen Euro für vier Jahre auf sicherem Boden. Ganz ohne Schrammen sind die Schulden ihres Vorgängers aber an Kaup-Hasler nicht vorübergegangen, bekommt sie doch um rund 220.000 Euro weniger Subvention als dieser.

"Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe des steirischen herbstes ist zu verdoppeln, was ohnehin das Stadttheater zeigt", proklamiert die Neo-Intendantin und erklärt damit ein Programm, das durchaus sperrig ist. Statt einer schillernden Großausstellung sind zahlreiche kleinere Projekte angekündigt; literarisches Theater traditioneller Manier ist die Ausnahme im perfomancelastigen
Parcour (siehe Kasten). Der steirische herbst ist für Kaup-Hasler ein "Festival konsequenter Zeitgenossenschaft, um die man ringen muss", und soll ein risikofreudiger Ort innovativer Eigenproduktionen sein. So spröde das Programm auf den ersten Blick aussehen mag, so offensiv selbstironisch geht das Festival mit dem angebotenen Genre-Mix um: Rote Stempel erklären im Programm, aus wie viel Prozent Performance, bildender Kunst, Diskurs oder Alltag die jeweilige Aufführung besteht.

1968 im realsozialistischen Dresden geboren, ist Kaup-Hasler zu hundert Prozent Wienerin. 1970 zogen ihre Eltern, eine ostdeutsche Sängerin und ein österreichischer Schauspieler, nach Wien: "Ich bin Meidlingerin - ich habe fünfundzwanzig Jahre dort im Gemeindebau gelebt." Zur Schauspielerei hat es die Teenagerin nicht gezogen, weil sie bei den Eltern "schon früh auch die Schattenseiten an dem Beruf" gesehen habe. "Meeresbiologin, Journalistin, guter Einbrecher - solche Laufbahnen haben mich fasziniert, als ich zwölf war." Im Journalismus versuchte sie sich kurz - allerdings nicht im Kulturressort, sondern in der Innenpolitik (unter anderem bei einer katholischen Presseagentur). Kaup-Hasler studierte Germanistik, Theaterwissenschaft, Ethnologie und Politikwissenschaft und fand nebenher noch Zeit für Hospitanzen am Burgtheater. Nach einem Dramaturgie-Engagement in Basel wechselte sie 1995 zu den Wiener Festwochen, wo sie den erfolgreichen "Regiewettbewerb" initiierte und Christoph Schlingensiefs aufsehenerregende Container-Aktion "Ausländer raus!" (2000) mitentwickelte. Damals entdeckte die junge Dramaturgin ihr Interesse für zeitgenössische Kunst, die im öffentlichen Raum agiert.

Als Intendantin des deutschen biennalen Festivals Theaterformen (2001-2004), das in Hannover und Braunschweig stattfand, versuchte Kaup-Hasler, ein politisch, ästhetisch und intellektuell avanciertes Programm vorzulegen, das über den engen Tellerrand der Kunst hinausblickt: Linke Theoretiker wie Antonio Negri oder der Lacan-Schüler Slavoj Zizek waren zu Gast, und unter dem Motto "Spielfeldforschung" diskutierte man in Workshops über das Selbstverständnis von Kunst und Kritik.

Radikalinski. Kühle Kuratorin, die rein auf intellektuelles Minderheitenprogramm setzt, ist Kaup-Hasler trotzdem keine: Selbst Sperriges darf sinnlich sein. Matthias Lilienthal, Leiter des renommierten Berliner Hebbel-Theaters, meint anerkennend: "Sie guckt mit extremer Wärme auf Theater." In Braunschweig ragte eine riesige rote Treppe vom Theater in die Stadt hinein. Das Festival wollte auch jene Zuschauer willkommen heißen, die mit Theater und Theorie nur schwer zu ködern sind: um im Theater abzuhängen, Bier zu trinken und auf ihre Stadt hinunterzublicken.


Sie selbst hat gerade wenig Zeit für Gemütlichkeit. Während der Wiener Pressekonferenz für den steirischen herbst ist Veronica Kaup-Hasler eigentlich krank. Eine große Plastiktüte voller Medikamente soll gegen Grippe helfen. Bei der Präsentation des Programms merkt man davon aber wenig, bis auf Kaup-Haslers selbstironische Anspielung: "Verzeihen Sie bitte meine kratzige Stimme, ich bewerbe mich nicht beim ORF." Ansonsten ist die Turbo-Intendantin trotz Fieber ungebrochen bei der Sache. "Ich bin eben ein Radikalinski", sagt sie später über ihr hohes Energie-Level. "Mir liegt das Mittelmaß wenig, und das meine ich jetzt nicht eitel: die goldene Mitte zu finden, das ist mein Lebensprojekt."
Karin Cerny