wukonig.com



steirischer herbst

» Fr 13/10 & Sa 14/10 – Wörterbuch des Krieges

» 21/09 - 15/10/2006 – steirischer herbst 2006



Festivalzentrum
Neue Zürcher Zeitung - 12.09.2006
Zweiter Frühling im Herbst
Graz setzt auf neue Intendantinnen

Veronica Kaup-Hasler hat den Steirischen Herbst übernommen und Anna Badora das Grazer Schauspielhaus. In Österreichs Zentrum der Avantgarde könnte die geographische und kunstbetriebliche Randlage in den nächsten Jahren zum spannenden Thema werden.

Frisch gestrichen sind die Bürowände im alten Grazer Palais Attems, und die Intendantin des Steirischen Herbstes ist neu bestellt. "Avantgarde, gibt's die noch?", fragt Veronica Kaup-Hasler, und es hallt etwas nach in den barocken Räumen. Die stürmischsten Jahre des Steirischen Herbstes sind vorbei, aber auch ein veritabler Schiffbruch ist überwunden. In der Zeit von Peter Oswalds Intendanz hat das Grazer Festival auch im Finanziellen seine Höhen und Tiefen gehabt. 2003, das Jahr, in dem die Metropole an der Mur europäische Kulturhauptstadt war, brachte dem Steirischen Herbst eine Verdoppelung des Budgets, danach folgte der jähe Absturz. Die neue Veranstaltungshalle übersteigt die finanziellen Möglichkeiten des Festivals bei weitem, und ausserdem gilt sie in der Bespielung als problematisch. Folgerichtig häuften sich die Schulden. 1,1 Millionen Euro waren es zuletzt. Die mitverantwortliche Politik verschanzte sich hinter dem Intendanten, und dieser warf schliesslich das Handtuch.

Neustart
Ein reduzierter Steirischer Herbst im Jahr 2005 war Peter Oswalds letzte Möglichkeit, sein ambitioniertes, vor allem an der Musik ausgerichtetes Programm zu zeigen; danach folgten in Graz hektische Betriebsamkeit und ein offensives Schuldendesign. Das Avantgardespektakel hat sich als "Steirischer Herbst Festival GmbH" neu gegründet, und auf dieser juristischen Basis hat Veronica Kaup-Haslers Intendanz die Schulden zwar nicht offiziell übernommen, bleibt ihnen aber spürbar verbunden. Jeweils um 100 000 Euro ist das Budget in den nächsten vier Jahren gekürzt. Rund 2,7 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln stehen dem Kulturevent zur Verfügung - gerade einmal ein Fünftel dessen, was etwa bei den Wiener Festwochen ausgegeben werden kann.
Man muss sich nach der Decke strecken, und Veronica Kaup-Hasler wird das nach Kräften versuchen. Ein schnelles und bewegliches Instrument soll der Steirische Herbst sein und sich damit vom internationalen Gastspielbetrieb anderer Festivals abheben. Seit seiner Gründung hat diese Grazer Institution am liebsten selbst produziert. Und so soll es auch bleiben. "Prozessorientiert" soll der "Herbst" sein, sagt Veronica Kaup-Hasler, und er soll schauen, wo es gerade brennt in der Gesellschaft. "Ich glaube noch an das Existenzielle in der Kunst, da bin ich extrem altbacken", so die Intendantin, die ihrem ersten Auftritt kein Motto gibt, sondern Schwerpunkte. "Kontrolle", "Kollaboration", "Teilhabe" und "offene Quellen" sind Stichworte für eine künstlerische Soziologie, die ab 21. September in Graz zu sehen sein wird.

Relevanz
Statt großer Gesten gibt es Relevanz. Armin Petras alias Fritz Kater bringt mit "Tanzen!" ein Stück über Kontrollvorgänge in einem High- Tech-Unternehmen und der New Yorker Regisseur Richard Maxwell "The End of Reality" - Diskurse aus einer Sicherheitsfirma. Das für den Steirischen Herbst zum "Gutshaus Kranz" mutierte Kunsthaus Graz wird mit dem "Sicherheitsdisplay" der Ausstellung "Protections" das Gebäude gleich mit reflektieren. Das Thema "Kontrolle" schlägt so wie die anderen durchs Programm. Und weil die äusseren Formen der einzelnen Projekte der Multidisziplinarität verpflichtet sind, gibt es zu jedem einen ironischen Beipacktext. "57 Prozent bildende Kunst, 11 Prozent Theorie, 32 Prozent Performance" steht über der Ausstellung "Protections".
Zu hundert Prozent hat Veronica Kaup-Hasler die Musik des Festivals dem Kurator Christian Scheib überlassen, der sich um das bewährte und jetzt besser dotierte "Musikprotokoll" des Steirischen Herbstes kümmert.
Das Geburtsjahr 1968 teilt Veronica Kaup-Hasler mit dem Steirischen Herbst. Ihre Karriere ist stetig verlaufen. In Peymanns Burgtheater war die in Dresden Geborene als Dramaturgin tätig, sie hat für die Wiener Festwochen gearbeitet, am Stadttheater Basel und zuletzt als künstlerische Leiterin des Festivals Theaterformen in Hannover. Vorerst bis 2009 ist Kaup-Hasler für Graz bestellt. Ihr Auftritt ist uneitel, und auch die verblasene Rhetorik, die den Steirischen Herbst in den letzten Jahrzehnten immer begleitet hat, ist ihre Sache nicht.

Ränder und Zentrum
Bei Veronica Kaup-Hasler ist die künstlerische Utopie keine ferne Gegenwirklichkeit, und diese Sicht teilt sie wohl mit ihrer Kollegin Anna Badora, die mit dieser Saison das Grazer Schauspielhaus von Matthias Fontheim übernommen hat. 650 Plätze hat das Haus, das ein Laboratorium für Neues sein kann, aber auch ein biederes Reservat des Alten. Johann Nestroy, der in Graz immerhin das Zeitliche segnete, muss auf jedem Spielplan stehen. Für diesmal garniert "Der Talisman" die Österreich-Reverenz der im polnischen Czestochowa geborenen Badora. Grillparzers "Medea" inszeniert die neue Intendantin selbst; Premiere ist am 27. September.

Anna Badoras Gespür für junge Talente kann sich an einem Haus beweisen, dessen Theaterraum "Probebühne" fürs Erste literarischen Aufsteigern von Andrzej Stasiuk über Reto Finger bis zu Händl Klaus offensteht. Vor seinem eigentlichen Vertragsende und beinahe fluchtartig hat Fontheim das Theater Richtung Mainz verlassen. "Mainz ist eine Medienstadt", hat der scheidende Intendant noch verkündet. Das war ein Lob für sein neues Wirkungsgebiet und ein leiser Spott für sein altes. Anna Badora ist den umgekehrten Weg gegangen. In Mainz war sie bis 1996, dann folgte für zehn Jahre das Düsseldorfer Schauspielhaus. Aus der dortigen Theatermaschine kommt Badora in die steirische Beschaulichkeit der Randlage. "Manche sagen verächtlich: Das ist schon halber Balkan hier - ich sage das mit Begeisterung." Es ist ja auch wahr: Europa wächst nicht im Zentrum, sondern an den Rändern. Wer weiss, wo Graz eines Tages noch liegen wird.

Paul Jandl